Entscheidungsstichwort (Thema)
Verpflichtung zur Altlastenbeseitigung am Gemeinschaftseigentum einer WEG im Wege der kaufrechtlichen Nacherfüllung
Leitsatz (amtlich)
1. Auch der gewerbliche Verkäufer einer gebrauchten Eigentumswohnung ist grundsätzlich verpflichtet, den einzelnen Käufern insgesamt mangelfreies Gemeinschaftseigentum zu verschaffen, weil ansonsten in diesen Fällen der vom Gesetzgeber primär vorgesehene Nacherfüllungsanspruch gemäß §§ 437 Nr. 1, 439 BGB praktisch leerliefe (vom BGH bisher offen gelassen, Urteil vom 24.7.2015 - V ZR 167/14, Rz. 22 ff.).
2. Zur Sollbeschaffenheit eines Grundstücks gehört auch ohne ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarung die Freiheit von nicht nur unerheblichen Kontaminationen. Mit giftigen Stoffen sind nämlich besondere Gefahren und Risiken verbunden, die ein Käufer in der Regel nicht ohne Weiteres hinzunehmen bereit ist (BGH, Urteil vom 30.11.2012 - V ZR 25/12, Rz. 15).
3. a) Für die Frage, wann eine nicht nur unerhebliche Kontamination vorliegt, sind mangels abweichender Vereinbarung grundsätzlich die Begriffsdefinitionen für schädliche Bodenveränderungen in § 2 Abs. 3ff BBodSchG und die Maßnahmewerte gem. § 8 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BBodSchG i.V.m. der BBodSchV maßgeblich.
4. b) Existieren jedoch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, dass Schadstoffe, die - wie BaP (Benzo(a)Pyren) - als kanzerogen eingestuft werden, bereits in erheblich geringerer Konzentration dem Menschen schaden können als bisher in der BBodSchV vorgesehen, ist es im Hinblick auf das hohe Schutzgut der Gesundheit nicht vertretbar, bis zur endgültigen Verabschiedung einer novellierten Verordnung veraltete, möglicherweise die Gesundheit gefährdende Prüfwerte zugrunde zu legen. Vor diesem Hintergrund war in Bayern bereits im Jahr 2013 der vom Bayerischen Landesamt für Umwelt abgeleitete Prüfwert von 0,5 mg/kg BaP für Kinderspielflächen und Wohngebiete für die Soll-Beschaffenheit zugrundezulegen.
5. Ein gewerblicher Verkäufer gebrauchter Immobilien kann sich gem. § 444 BGB auf einen vertraglichen Gewährleistungsausschluss nicht berufen, wenn er den Kaufinteressenten seine Kenntnisse arglistig nicht vollständig offenbart, insbesondere dass
6. a) bei Auffinden einer verfüllten Kiesgrube jedenfalls in München grundsätzlich ein Altlastenverdacht besteht,
7. b) in den Kaufverträgen jeweils versichert wird, dass "verdeckte Mängel" nicht bekannt seien, insbesondere ... Altlasten", obwohl der Verkäufer wusste, dass er hierüber wegen Abwesenheit des zuständigen Sachbearbeiters und mangels Vertretungsregelung für diesen keine aktuelle Kenntnis hatte, und obwohl in diesem Zeitraum ständig mit dem Eingang des entsprechenden Berichts zu rechnen war und dieser für die weiteren Beurkundungen von offensichtlicher Bedeutung war,
8. c) die über eine zusammengefassten Altlastenauskunft der zuständigen Behörde hinausgehenden Kenntnisse über weitere Altlasten und deren Konsequenzen verschwiegen werden.
Normenkette
BBodSchG § 8 i.V.m; BBodSchV; BGB § 437 Nr. 1, §§ 439, 444
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 17.04.2018; Aktenzeichen 25 O 24162/14) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufungen beider Parteien wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 17.04.2018 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte ist verpflichtet, die vorhandenen Altlasten des Anwesens ... in folgendem Umfang zu beseitigen:
a) Sanierung des Innenbereichs (Flächen TF 1 - 3 gem. Abb. 4.-1 Anlage B 4 vom 30.04.2013), soweit dort der Wert von 0,5 mg/kg BaP überschritten wird;
b) Sanierung des südlichen Außenbereichs (Flächen BP 1 und BP 2 gem. Abb. 4-1 Anlage B 5 vom 03.05.2013), soweit dort der Wert von 0,5 mg/kg BaP überschritten wird.
II. Im Übrigen werden die Klage ab- und die Berufungen zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird in dem aus den Gründen ersichtlichen Umfang zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin macht als WEG aus Kaufverträgen einzelner Wohnungserwerber resultierende Nacherfüllungs-, Minderungs- und Schadensersatzansprüche aufgrund von im Innenhof und im Außenbereich ihres Anwesens befindlicher Altlasten gegen die Beklagte geltend.
Die Beklagte ist eines der größten Immobilienunternehmen Deutschlands. Die Beklagte hat das streitgegenständliche Geviert zur notariellen Urkunde vom 17.04.2012 des Notars Dr. S. in M. in Wohnungseigentum aufgeteilt und die Teilungserklärung nebst Gemeinschaftsordnung beurkunden lassen; ergänzt wurde dies durch einen Nachtrag vom 19.11.2012 (vgl. Anlage K 1, auf deren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird).
Es entstanden hierdurch 180 Tei...