Leitsatz (amtlich)
1. Unterläßt es der Käufer eines gebrauchten älteren Kraftwagens entgegen dem Rat des Verkäufers, die (hier: 14 Jahre zuvor) runderneuerten Reifen auszuwechseln und kommt es wegen eines geplatzten Reifens zu einem Verkehrsunfall, so kann er dem schwer verletzten Beifahrer zum Schadensersatz verpflichtet sein. Dies kommt auch dann in Betracht, wenn in einer Werkstatt die (von außen als solche nicht erkennbare) alterungsbedingte Reifenschädigung möglicherweise nicht festgestellt worden wäre.
2. Weisen die Reifen bereits Sprödrisse und ein veraltetes Profil auf, so kann, um einen Ursachenzusammenhang zwischen der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht des Kraftfahrers und dem Unfallereignis anzunehmen, davon ausgegangen werden, daß eine zur Prüfung befähigte Werkstatt wegen Zweifel an der Verkehrssicherheit der Reifen zu deren Auswechslung geraten hätte.
Verfahrensgang
LG Augsburg (Urteil vom 03.07.1997; Aktenzeichen 9 O 9229/96) |
Tenor
Der 24. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München mit dem Sitz in Augsburg erlässt aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 5. Februar 1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ... folgendes Endurteil:
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Augsburg vom 3. Juli 1997 aufgehoben.
II. 1. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 40.050 DM (i.W.: vierzigtausendfünfzig Deutsche Mark) nebst 4 v.H. jährlich Zinsen aus 25.050 DM seit 26.1.1996, aus 10.000 DM vom 17.3.1997 bis 7.11.1997 und aus 15.000 DM seit 7.11.1997 zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen und künftigen immateriellen Schäden im Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 3.12.1994 auf der Bundesstraße 17 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
IV. Die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
VI. Die Beschwer der Beklagten beträgt 50.050 DM.
Tatbestand
Der Kläger verlangt Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall.
Am 3.12.1994 gegen 21.40 Uhr fuhr der Beklagte zu 1 mit seinem Pkw BMW auf der Bundesstraße 17 neu in Richtung Augsburg. Bei Kilometer 21,06 löste sich der Profilbelag des runderneuerten linken hinteren Reifens, und es platzte der Reifenkörper. Das Fahrzeug kam von der Fahrbahn ab und überschlug sich mehrmals. Der Kläger wurde als Beifahrer schwer verletzt. Er erlitt u.a. ein schweres Schädelhirntrauma und Frakturen des Beckenrings, der Rippen und des rechten Handgelenks, ferner ein psychoorganisches Hirnsyndrom.
Der Kläger hat behauptet, der Beklagte zu 1 sei zur Unfallzeit mit einem Tempo gefahren, das erheblich über der für die Reifen zugelassenen Geschwindigkeit gelegen habe. Beim Kauf des Kraftwagens sei der Beklagte zu 1 auf das Alter der Reifen ausdrücklich hingewiesen worden.
Der Kläger hat im ersten Rechtszug zuletzt folgende Anträge gestellt:
1. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger ein Schmerzensgeld von 35.000 DM nebst 4 v. H. Zinsen aus 25.000 DM seit 26.1.1996 und 4 v. H. Zinsen aus 10.000 DM seit 17.3.1997 sowie 50 DM nebst 4 v. H. Zinsen hieraus seit 26.1.1996 zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, daß die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, letztere soweit sie nach dem 3.12.1997 entstehen, aus dem Unfallereignis vom 3.12.1994 auf der B 17 bei Kilometer 21,06, als Gesamtschuldner zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf den Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Die Beklagten haben ein Verschulden des Beklagten zu 1 bestritten. Bauartbedingt habe das Fahrzeug nur bis zu 164 km/h fahren können; an die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit habe der Beklagte zu 1 keine Erinnerung mehr. Der Zustand der Reifen sei ihm nicht bekannt gewesen.
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, ein Fahrtempo von über 160 km/h sei im Hinblick auf das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. Wilhelm ... zur Fahrzeughöchstgeschwindigkeit nicht bewiesen. Alter und Mängel der Reifen seien für den Beklagten zu 1 nicht erkennbar gewesen. Eine Gefährdungshaftung gegenüber dem Kläger als Insassen scheide aus.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.
Er beanstandet die Beweiswürdigung des Landgerichts zur gefahrenen Geschwindigkeit und behauptet weiterhin eine Pflichtverletzung des Beklagten zu 1 hinsichtlich der Reifen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien und ihrer Beweisangebote wird zur Ergänzung des Tatbestands auf die in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze der Parteien, auf die Sitzungsniederschriften und auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Beruf...