Leitsatz (amtlich)
1. Art. 17 CMR findet auch dann Anwendung, wenn es infolge einer unrichtigen Verwendung der dem Frachtführer ausgehändigten Dokumente zu einem Verlust oder einer Beschädigung des Transportguts kommt.
2. Das Verschulden einer vom Frachtführer zur Verzollung eingeschalteten Grenzspedition ist dem Frachtführer nach Art. 3 CMR zuzurechnen.
3. Art. 23 CMR schließt, sofern die Voraussetzungen des Art. 29 CMR nicht vorliegen, die Geltendmachung weiterer Vermögensschäden aus. Insbesondere kann der Hauptfrachtführer die Kosten eines Vorprozesses mit dem Absender nicht im Verhältnis zum Unterfrachtführer als Verzugsschaden geltend machen.
Verfahrensgang
LG Traunstein (Urteil vom 01.12.2010; Aktenzeichen 1HK O 742/10) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des LG Traunstein vom 1.12.2010, 1 HK O 742/10 dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 23.894 EUR nebst 5 % Zinsen hieraus seit 30.10.2009 zu bezahlen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtstreits trägt die Klägerin 3/20, die Beklagte 17/20.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Es ergeht sodann folgender
Beschluss:
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 28.218,14 EUR festgesetzt.
Das Urteil wird begründet wie folgt.
Gründe
I. Gemäß § 540 Abs. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des LG Bezug genommen.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Art. 17 CMR findet keine Anwendung, da Art. 11 Abs. 3 CMR eine Sonderregelung enthalte für die Folgen des Verlustes oder der unrichtigen Verwendung der im Frachtbrief bezeichneten und diesem beigegebenen oder dem Frachtführer ausgehändigten Urkunden. Der Klägerin stehe kein Anspruch zu, da sie eine fehlerhafte Verwendung der übernommenen Papiere nicht nachgewiesen habe.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie ist der Ansicht, ihr stehe ein Anspruch aus Art. 17 Abs. 1 CMR zu, da diese Norm für den Fall des Verlusts des Transportguts die Spezialregelung sei. Zudem liege ein Fehler der Grenzspedition I. vor, den sich die Beklagte gem. Art. 3 CMR auch zurechnen lassen müsse.
Die Klägerin verfolgt ihre erstinstanzlichen Anträge weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet, soweit die Klägerin Zahlung von 23.894 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 % seit 30.10.2009 begehrt. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.
1. Der Klägerin steht ein Anspruch i.H.v. 23.894 EUR aus Art. 17 CMR zu.
a) Nach Ansicht des Senats ist Art. 17 CMR (jedenfalls auch) als Anspruchsgrundlage anwendbar, wenn es infolge einer unrichtigen Verwendung der dem Frachtführer ausgehändigten Dokumente zu einem Verlust (bzw. einer Beschädigung) des Transportguts kommt. Insbesondere erscheint es nicht nachvollziehbar, gerade bei der besonders gravierenden Folge des Verlusts oder der Beschädigung des Transportguts Art. 17 CMR nicht anzuwenden (im Ergebnis für eine Anwendung des Art. 17 CMR als lex specialis Jesser-Huß in MünchKomm/HGB, 2. Aufl. 2009, Art. 11 CMR Rz. 17; Boesche in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, 2. Aufl. 2009, Art. 11 CMR Rz. 7; Helm in: Staub, HGB, 4. Aufl. 2002, Anh VI § 452, Art. 11 CMR Rz. 14; a.A. Koller, Transportrecht, 7. Aufl. 2010, Art. 11 CMR Rz. 4; offen gelassen von OLG Düsseldorf TranspR 1997, S. 422 ff, 423).
b) Die Beschlagnahme der sieben Colli durch den kroatischen Zoll ist als Verlust zu werten. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der kroatische Zoll die Colli ohne die Auslösung durch die Firma U. in absehbarer Zukunft freigegeben hätte (dafür, dass eine rechtmäßige Beschlagnahme als Verlust zu werten ist: Koller, a.a.O., § 425 HGB Rz. 7; Herber in MünchKomm/HGB, 2. Aufl. 2009, § 425 Rz. 15).
c) Die Haftung der Beklagten ist auch nicht gem. Art. 17 Abs. 2 CMR ausgeschlossen. Die Beklagte trägt gem. Art. 18 Abs. 1 CMR die Beweislast, dass die Beschlagnahme nicht auf Umständen beruht, die die Beklagte nicht vermeiden und deren Folgen die Beklagte nicht abwenden konnte. Diesen Beweis hat die Beklagte nicht geführt:
Nach dem Vortrag der Beklagten hatte der Fahrer S. sämtliche erforderlichen Unterlagen ursprünglich erhalten. Die Eur. 1 und die Pro Forma-Rechnung dazu seien in dem weißen, an die Empfängerin M. adressierten Umschlag enthalten gewesen (s. Schriftsatz der Beklagten vom 22.4.2010, S. 2, Bl. 21 der Akten; Schriftsatz der Beklagten vom 12.8.2011, S. 2, Bl. 116 der Akten). Die anderen Unterlagen (CMR-Frachtbrief, 2 ATA-Carnets, zwei weitere Pro-Forma-Rechnungen) befanden sich, ebenso wie ...