Leitsatz (amtlich)
1. Dem Nutzer einer Social-Media-Plattform, die nach ihrer Zweckbestimmung einen allgemeinen Informations- und Meinungsaustausch ermöglichen soll, steht aus dem Nutzungsvertrag in Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB und der mittelbaren Drittwirkung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) gegen den Betreiber ein Anspruch darauf zu, dass eine von ihm eingestellte zulässige Meinungsäußerung nicht von der Plattform entfernt und ihre Einstellung nicht mit Sanktionen des Betreibers belegt wird.
2. Der Plattformbetreiber kann durch das Aufstellen allgemeiner Verhaltensregeln Rechte, Rechtsgüter und Interessen im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB definieren, auf die der Nutzer seinerseits Rücksicht zu nehmen hat.
3. Die vom Plattformbetreiber in allgemeinen Geschäftsbedingungen aufgestellten Verhaltensregeln unterliegen grundsätzlich der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB. Sie halten dieser Kontrolle stand, soweit sie die Schranken konkretisieren, denen die Ausübung der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 2 GG oder aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts unterworfen ist. Zu diesen Schranken gehört insbesondere auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht (§ 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) des von der Äußerung Betroffenen.
4. Wenn eine Äußerung nicht bereits den objektiven Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, erfordert die Prüfung ihrer Zulässigkeit im vorgenannten Sinn regelmäßig eine Abwägung, in deren Rahmen die kollidierenden (Grund-) Rechtspositionen in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz so zum Ausgleich zu bringen sind, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.04.1986 - 2 BvR 487/80, Rn. 25, BVerfGE 73, 261).
5. Im Hinblick auf die fundamentale Bedeutung, die der Meinungsfreiheit nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die menschliche Person und die demokratische Ordnung zukommt, kann dem Betreiber einer dem allgemeinen Informations- und Meinungsaustausch dienenden Social-Media-Plattform kein nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum ("virtuelles Hausrecht") zugebilligt werden, ob eine von einem Nutzer auf der Plattform eingestellte Äußerung entfernt werden darf oder nicht. Dem Plattformbetreiber bleibt es aber unbenommen, ein Forum zu eröffnen, das nach seiner Zweckbestimmung der Erörterung bestimmter Themen vorbehalten ist.
6. Die Einschränkung von Kommunikationsmöglichkeiten, welche dem Nutzer einer Social-Media-Plattform ausschließlich aufgrund des Nutzungsvertrags mit dem Plattformbetreiber eröffnet sind, beeinträchtigt den Nutzer nicht in absolut geschützten Rechten im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB.
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 26 O 5492/18) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 22.02.2019, Az.: 26 O 5492/18,
1. in den Ziffern 1, 2, 3 und 6 unter Abweisung der den Aussprüchen korrespondierenden Klageanträge zu 1, 2, 4 und 9 aufgehoben sowie
2. in Ziffer 4 dahin ergänzt, dass die erneute Freischaltung des am 27.03.2018 gelöschten Beitrags im Profil des Klägers (https://www.facebook.com/... an derselben Stelle zu erfolgen hat, an der sich der gelöschte Beitrag befunden hatte.
Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
II. Auf die Berufung des Klägers wird das vorgenannte Endurteil wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten für jeden Fall der Zuwiderhandlung es zu unterlassen, den Kläger für das erneute Einstellen des im Tenor des vorgenannten Endurteils unter Ziffer 4 wiedergegebenen Beitrags auf www.facebook.com zu sperren oder den Beitrag zu löschen, wenn das erneute Einstellen geschieht, wie es am 27.03.2018 auf dem Profil des Klägers (https:// www.facebook.com/... der Fall gewesen ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die bei ihr geführten, den Kläger betreffenden Daten dahin zu berichtigen, dass das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen durch den am 27.03.2018 gelöschten Beitrag aus dem Datensatz gelöscht und der Zähler, der die Anzahl der Verstöße des Klägers erfasst, um die Zahl eins zurückgesetzt wird.
Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen. In diesem Umfang bleibt bzw. wird die Klage abgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen der Kläger 55 % und die Beklagte 45 %.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 70 % und die Beklagte 30 %.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar,
a) für den Kläger in Ziffer II 1 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000 EUR und in Ziffer II 2 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.500 EUR,
b) hinsichtlich der Kosten in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Der aufrechterhaltene Ausspruch zu Ziffer 4 des Endurteils des Landgerichts München I vom 22.02.201...