Leitsatz (amtlich)
1. Dem Nutzer einer Social-Media-Plattform, die nach ihrer Zweckbestimmung einen allgemeinen Informations- und Meinungsaustausch ermöglichen soll, steht aus dem Nutzungsvertrag in Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB und der mittelbaren Drittwirkung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) gegen den Betreiber ein Anspruch darauf zu, dass eine von ihm eingestellte zulässige Meinungsäußerung nicht von der Plattform entfernt wird (Bestätigung des Urteils des Senats v. 7.1.2020, 18 U 1491/19).
2. Der Nutzer trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass gegen ihn verhängte Sanktionen unberechtigt waren, denn mit der Behauptung, dass eine Löschung oder Sperrung zu Unrecht erfolgt sei, wirft er dem Betreiber der Social-Media-Plattform eine Pflichtverletzung vor, die er nach allgemeinen Grundsätzen darzulegen und im Streitfall zu beweisen hat. Deren Betreiber trifft regelmäßig auch keine sekundäre Darlegungslast.
3. Ohne ausreichende Angaben des Nutzers zum konkreten Kontext des Beitrags kann regelmäßig nicht beurteilt werden, ob der Betreiber diesen zu Recht als "Hassbotschaft" gewertet oder mit dessen Löschung seine vertraglichen Pflichten gegenüber dem Nutzer verletzt hat.
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 27 O 6703/18) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 22.5.2019, Az. 27 O 6703/18, dahin abgeändert, dass die Verurteilung in Ziffer 1. und 3. des Tenors (Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrung des Profils und Verurteilung zur Auskunft über Drittunternehmen) aufgehoben und die Klage auch insoweit abgewiesen wird.
II. Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt der Kläger 86 %, die Beklagte 14 %.
IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger verlangt von der Beklagten Freischaltung eines auf seinem Facebook-Profil eingestellten und von der Beklagten am 13.12.2017 gelöschten Beitrags, Unterlassung der künftigen Löschung dieses Beitrags oder "Sperrung" seines Profils für das erneute Einstellen, Schadensersatz in Höhe von 1.500 EUR, Erteilung verschiedener Auskünfte sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Daneben begehrt er die Feststellung, dass die am 13.12.2017 vorgenommene Sperrung seines Profils rechtswidrig gewesen sei.
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstands in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat unter Abweisung der Klage im Übrigen festgestellt, dass die am 13.12.2017 vorgenommene Sperrung des Profils des Klägers rechtswidrig gewesen sei, und die Beklagte zur Freischaltung des am 13.12.2017 gelöschten Beitrags sowie zur Auskunftserteilung darüber verurteilt, ob die "Sperre gemäß Ziffer 1" durch ein beauftragtes Unternehmen erfolgt sei und gegebenenfalls durch welches. Zur Begründung hat es - soweit im Berufungsverfahren noch relevant - im Wesentlichen ausgeführt:
Die Klageänderung vom 11.12.2018 (mit der die Klageanträge auf eine andere Äußerung gestützt wurden als in der Klageschrift) sei sachdienlich.
Der Kläger habe ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung, auch wenn die Sperrzeit bereits abgelaufen sei. Die Beklagte knüpfe nämlich an die Tatsache früherer Sperren Konsequenzen dergestalt, dass sich die Dauer weiterer Sperren verlängere. Die Rechtmäßigkeit der Sperre bestimme sich aufgrund der in den Sonderbedingungen (Anlage KTB 2) unter Ziffer 5 getroffenen Rechtswahl nach deutschem Recht. Dass der fragliche Beitrag existiere und die streitgegenständliche Sperrung vorgenommen worden sei, habe der Kläger nachgewiesen. Die Sperrung des klägerischen Profils verletze den zwischen den Parteien bestehenden Nutzungsvertrag in Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB. Maßstab für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit seien die Gemeinschaftsstandards der Beklagten in der vor dem 19.4.2018 geltenden Fassung, während die Gemeinschaftsstandards in der nach dem 19.4.2018 geltenden Fassung erst für die Freischaltung des Beitrags maßgebend seien.
Der vorliegende Beitrag habe nicht gegen die Gemeinschaftsstandards der Beklagten verstoßen. Da der Kläger den Kontext des Beitrags nicht geschildert habe und die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht nachgewiesen habe, dass er sich auf den von ihr genannten Drittbeitrag über bei der Flucht über das Mittelmeer vom Ertrinken bedrohte oder bereits ertrunkene Menschen bezogen habe, könne die mit der Klageänderung mitgeteilte Äußerung nur nach ihrem Wortlaut ausgelegt werden. Danach sei sie zwar migrationskritisch und migrantenskeptisch, aber nicht menschenverachtend, zumal sie vor allem auf die innerdeutsche migrationspolitische Debatte Bezug nehme. So verstanden könne sie nicht als Hassbots...