Entscheidungsstichwort (Thema)
Lauterkeitsrechtliche Zulässigkeit der Gewährung von Boni bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch eine im EU-Ausland ansässige Versandapotheke
Leitsatz (amtlich)
1. Bei den Vorschriften der § 78 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 AMG a.F. i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 AMPreisV handelte es sich um Marktverhaltensregelungen i.S.v. § 3a UWG. (Rn. 52)
2. Ein bis zu einer Gesamthöhe von 9,00 EUR pro Rezept für jedes rezept- und damit verschreibungspflichtige Medikament angebotener und gewährter Rabatt in Höhe von jeweils EUR 3,00 EUR durch eine im EU-Ausland ansässige Versandapotheke stellt einen unmittelbaren Preisnachlass auf den eigentlichen Apothekenabgabepreis dar. Das gleiche gilt für den einem Kunden in gleicher Höhe gegen Teilnahme an einem Arzneimittelcheck gewährten Bonus. Hierdurch wird gegen die nach § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. auch für im EU-Ausland ansässige Versandapotheken geltende Preisbindung verstoßen. (Rn. 53) (Rn. 56) (Rn. 57)
3. Die Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. verletzt nicht die europarechtlich gemäß Art. 28 ff. AEUV gewährleistete Warenverkehrsfreiheit. (Rn. 64)
4. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass die Arzneimittelpreisbindung gemäß § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. ein geeignetes und erforderliches Mittel darstellt, um das als solches legitime Ziel der Erhaltung der flächendeckenden sicheren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung in Deutschland zu gewährleisten. (Rn. 87)
5. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. (Rn. 142)
6. § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V ist eine Marktverhaltensregelung i.S.v. § 3a UWG. Die Vorschrift des § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V ist unionsrechtskonform. (Rn. 147) (Rn. 152)
Normenkette
AEUV Art. 28-30, 34; AMG vom 19.10.2012 § 78 Abs. 1 S. 4; AMG vom 19.10.2012 § 78 Abs. 2 S. 2; AMG vom 19.10.2012 § 78 Abs. 3 S. 1; AMPreisV § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1; GG Art. 12 Abs. 1; SGB V § 129 Abs. 3 S. 3; UWG vom 23.03.2010 § 4 Nr. 11; UWG vom 29.07.2009 § 3 Abs. 1; UWG § 3a vom 29.07.2009; UWG vom 29.07.2009 § 8 Abs. 1 S. 1; UWG vom 29.07.2009 § 8 Abs. 3 Nr. 2
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 13.03.2014; Aktenzeichen 11 HK O 12091/13) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 13.03.2014, Az. 11 HK O 12091/13, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass im Tenor zu Ziff. I. 1. des Urteils das Wort "insbesondere" gestrichen wird.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
3. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung aus Ziffern I.1. und I.2. des landgerichtlichen Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils EUR 75.000,00 abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
Gründe
A. Die Parteien streiten um die lauterkeitsrechtliche Zulässigkeit der Gewährung von Boni bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch eine im EU-Ausland ansässige Versandapotheke.
Der Kläger ist ein berufsständischer Interessensvertreter der in B. ansässigen selbständigen Apotheker mit Sitz in M. Zu seinen satzungsmäßigen Aufgaben zählt insbesondere die Förderung lauteren und die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs und anderer Missstände sowie schädigender Auswüchse im geschäftlichen Verkehr.
Die Beklagte ist ein in den Niederlanden ansässiges Pharmaunternehmen. Als Schwesterunternehmen der zur schweizerischen Z. R. AG gehörenden Versandapotheke D. reimportierte sie in den Jahren 2012 und 2013 unter dem damaligen Firmennamen W. P. C.V. ihr von deutschen Pharmagroßhändlern gelieferte verschreibungspflichtige Medikamente, indem sie diese nach Einreichung einer entsprechenden ärztlichen Verschreibung an in Deutschland ansässige Patienten abgab. Zwischenzeitlich hat die Beklagte den Apothekenbetrieb eingestellt.
Im Jahr 2012 warb die Beklagte zum einen damit, einem Patienten bei der Einlösung eines Rezepts einen direkt mit dem Rechnungsbetrag verrechneten Bonus in Höhe von EUR 3,00 pro Medikament, insgesamt aber höchstens EUR 9,00 pro Rezept zu zahlen. Hiergegen erwirkte der Kläger eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Traunstein (Beschl. v. 28.12.2012, Az. 1 HK O 4865/12, Anlage K 5). Zum anderen warb die Beklagte damit, bei der Einlösung eines Rezepts eine Prämie in einer Höhe von bis zu EUR 9,00 zu zahlen, wenn der Patient sich bereit erklärte, durch Ausfüllen eines Formulars oder durch Beantwortung von Fragen im Rahmen eines Telefonats einen Arzneimittelcheck zu absolvieren. Die Bonussumme wurde dabei automatisch von der Rechnung abgezogen. Auch Wiederbes...