Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Haftungsverteilung bei einer Kollision zwischen einem ohne Sicherungsmaßnahmen rückwärts in einen Feldweg einbiegenden Lkw und einem Pkw

 

Normenkette

StVG § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1-2; VVG § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; StVO § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 1 S. 4, § 9 Abs. 5; EGZPO § 26 Nr. 8

 

Verfahrensgang

LG Landshut (Urteil vom 14.01.2016; Aktenzeichen 82 O 728/15)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten vom 17.02.2016 wird das Endurteil des LG Landshut vom 14.01.2016 (Az.: 82 O 728/15) abgeändert und wie folgt neugefasst:

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.095,19 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.04.2015 sowie vorprozessuale Rechtsanwaltskosten in Höhe von 480,20 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.04.2015 zu bezahlen.

II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits (erster Instanz) werden gegeneinander aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313a I 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

B. I. Die statthafte, sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache teilweise Erfolg.

1.) Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von 5.095,19 EUR aus § 7 I StVG i.V.m. § 115 I 1 Nr. 1 VVG.

Entgegen der vom LG angenommenen Verteilung haftet die Beklagte dem Grunde nach lediglich zu 50 %, da sowohl der klägerischen Fahrerin wie dem Fahrer des bei der Beklagten versicherten Lkws auch im Lichte der Betriebsgefahren der beteiligten Fahrzeuge gleich schwerwiegende Verursachungsbeiträge zur Last liegen (§ 17 I, II StVG).

a) Der Fahrer des Beklagten-Lkws ist mit seinem Lkw und Anhänger von einer Landstraße aus im 90 Grad-Winkel über die Gegenfahrbahn hinweg in einen relativ engen Feldweg rückwärts eingebogen. Dabei hätte er gemäß § 9 V StVO jegliche Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen müssen. Dies wäre auch nach den überzeugenden Bekundungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) R. im Lichte der Dämmerung nur dadurch möglich gewesen, dass das Fahrmanöver durch Einschalten des Warnblinklichts und durch Aufstellen von Warndreiecken jeweils auf beiden Straßenseiten (oder durch das Aufstellen eines Warndreiecks auf einer Seite und Warnung seitens des Beifahrers auf der einen Straßenseite) abgesichert wird (§ 9 V 2. Hs StVO). Wie vom LG zutreffend festgestellt, konnte die Beklagte eine Betätigung des Warnblinklichts nicht nachweisen. Unstreitig wurde kein Warndreieck aufgestellt. Dem zur Folge ergab sich für den Beklagten-Fahrer eine Vermeidbarkeit des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls, indem er, wenn er schon nicht davon Abstand nahm, überhaupt dieses gefährliche Fahrmanöver durchzuführen, es zumindest nur mit entsprechender Absicherung gemacht hätte (vgl. S. 7 des Protokolls der Sitzung vom 07.10.2016 = Bl. 132 d.A.).

b) Entgegen der Auffassung des Erstgerichts ist der Beklagten aufgrund der in der Berufungsinstanz ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme, insb. dem vom Senat erstmals erholten lichttechnischen Gutachten des Sachverständigen R., der Beklagten der Nachweis gelungen, dass auch der klägerischen Fahrerin ein wesentlicher Verursachungsbeitrag zur Last zu legen ist, nämlich entweder ein Verstoß gegen die Verpflichtung gem. § 3 I 4 StVO, nur so zu schnell zu fahren, dass innerhalb der übersehbaren Strecke gehalten werden kann (Sichtfahrgebot), oder ein deutlicher Reaktionsverzug, was einen Verstoß gegen § 1 II StVO darstellt. Jedenfalls hätte die klägerische Fahrerin bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt das rangierende Lkw-Gespann bei Einhaltung der Sichtgeschwindigkeit so frühzeitig erkennen können, dass ein Anhalten problemlos möglich gewesen wäre.

Unstreitig ereignete sich der Unfall gegen 07.25 Uhr (vgl. Protokoll vom 07.10.2016, S. 3 = 128 d.A.). Der Senat geht davon aus, dass mit dem Wort "gegen" ein Spielraum von Plusminus fünf Minuten verbunden ist. Ausweislich der Ausführungen des o.g. Sachverständigen begann die sog. zivile Dämmerung am 20.01.2015 am Unfallort um 07.18 Uhr, verbunden mit einer Beleuchtungsstärke von 2 lux. Um 07.25 Uhr betrug die Beleuchtungsstärke dann 7 bis 10 lux. Die klägerische Fahrerin näherte sich mit Abblendlicht dem Unfallort an, wie sie glaubhaft bekundet hat. Die Sichtweite, bezogen auf dunkle Objekte, betrug für sie dabei gem. den Ausführungen des o.g. Sachverständigen um 07.25 Uhr ca. 45 bis 55 m, die Sichtgeschwindigkeit ca. 64 bis 89 km/h (letztere nur bei günstigsten Bedingungen; vgl. auch die Anlage A8 zum Protokoll der Sitzung vom 07.10.2016). Der Beklagten-Anhänger war insbesondere aufgrund der Ausrüstung der Rungen des Aufbaus mit retroreflektierendem Material...

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