Entscheidungsstichwort (Thema)
Restriktive Anwendung des Instituts des faktischen Geschäftsführers im Gesellschaftsrecht bei bloßen Konsolidierungs-/Rettungsmaßnahmen eines finanziell angeschlagenen Unternehmens
Leitsatz (amtlich)
Das Institut der faktischen Geschäftsführung und die sich hieraus ergebenden Haftungsfolgen sind restriktiv bei Fallkonstellationen anzuwenden, in denen wenig eigenes, nach außen hervortretendes, üblicherweise der Geschäftsführung zuzurechnendes Handeln des Betroffenen vorliegt, welches aber zum Zwecke der Konsolidierung/Rettung eines finanziell angeschlagenen Unternehmens vorgenommen wird.
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 22.02.2010; Aktenzeichen 15 HKO 4150/07) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des LG München I vom 22.2.2010 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt als Insolvenzverwalter den Beklagten als faktischen Geschäftsführer der insolventen K. Verlagsgesellschaft mbH (nachfolgend KVG) in Anspruch.
Der Beklagte führt das Verlagshaus L. Der Beklagte ist Komplementär der L. Kommanditgesellschaft mit Sitz in B. (nachfolgend L. KG). Das Verlagshaus L. engagierte sich unter der Leitung des Beklagten aufgrund von Verträgen vom 27./28.6.2001 mit der KVG finanziell. In diesen Verträgen erwarb die L. Verlagsbeteiligungs GmbH (nachfolgend L. GmbH) einen Geschäftsanteil an der KVG in Höhe einer Beteiligungsquote von 37,5 % zzgl. einer Call-Option. Die L. KG beteiligte sich an der KVG mit einer stillen Einlage i.H.v. 38.948.400 DM (19.914.000,71 EUR).
Der Kläger begehrt mit der Klage vom Beklagten eine Teilzahlung als Ersatz für verbotene Zahlungen, die von ihm nach Eintritt der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit der KVG geleistet worden sein sollen. Hilfsweise stützt der Kläger die Klage auf Schadensersatzansprüche aufgrund von Verstößen gegen die Sorgfaltspflicht des Beklagten als faktischer Geschäftsführer.
Auf Antrag des Klägers vom 14.8.2006 erging zunächst am 18.8.2006 ein Mahnbescheid mit folgender Formulierung:
Hauptforderung:
Ersatzanspruch gem. § 64 Abs. 2 GmbHG und Schadensersatz gem. § 43 Abs. 2 GmbHG gemäß Schreiben nebst Anlagen vom 24.7.2006: 40.000.000 EUR.
Das in Bezug genommene Schreiben vom 24.7.2006 lautet in Auszügen wie folgt: "... Wir fordern Sie hiermit ... auf, bis zum 28.7.2006 einen Betrag i.H.v. 40.000.000 EUR auf unser in der Fußzeile bezeichnetes Konto zu zahlen ... Die Ansprüche unseres Mandanten gegen Sie als faktischer Geschäftsführer der KVG ergeben sich aus verbotenen Zahlungen nach Eintritt eines Insolvenzgrunds (§ 64 Abs. 2 GmbHG), aus der Verletzung von Sorgfaltspflichten (§ 43 GmbHG) und aus der verspäteten Stellung eines Insolvenzantrags ... Unser Mandant verlangt von Ihnen persönlich als faktischer Geschäftsführer der KVG Ersatz der verbotenen Zahlungen, die ab dem 1.8.2001 bis zur Stellung des Insolvenzantrags vorgenommen wurden. Diese sind in Anlage 1 aufgeführt.
Schadensersatzansprüche gegen Sie ergeben sich außerdem aus § 43 GmbHG ... Daher sind Forderungen der KVG aus der Veräußerung von Büchern an Kunden weltweit in erheblichem Umfang uneinbringlich. In Anlage 2 sind die ausgefallenen Forderungen (nicht abschließend) dargestellt. In dieser Höhe bestehen Schadensersatzansprüche gegen Sie."
Dem Schreiben waren die Anlagen 1 und 2 beigefügt.
Anlage 1 besteht aus 290 Seiten mit über 12.400 Rechnungspositionen. Die Ausweisung eines Endsaldos, welcher tatsächlich 36.812.971,48 EUR beträgt, fehlt hier.
Anlage 2 enthält drei Seiten Rechnungspositionen, die mit einem Endsaldo von 16.615.220,61 EUR enden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlagen verwiesen.
Der Kläger ist der Auffassung, der Beklagte sei spätestens ab dem 1.7.2001 als faktischer Geschäftsführer der KVG anzusehen. Als solcher hafte er für Auszahlungen, die nach dem 1.7.2001 getätigt worden sind, da zu diesem Zeitpunkt bereits Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der KVG vorgelegen habe.
Der durch Teilklage erhobene Zahlungsanspruch von 40 Mio. EUR soll sich aus verschiedenen verbotenen Zahlungen der KVG zusammensetzen. Hilfsweise stützt der Kläger seinen Zahlungsanspruch auf Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten, denn er habe seine Sorgfaltspflicht ggü. der KVG durch mangelhafte Organisation des Unternehmens verletzt. Dadurch seien Forderungen i.H.v. 16.615.220,61 EUR uneinbringlich geworden.
Die Forderung sei nicht verjährt.
Das Erstgericht hat die Klage wegen Eintritts der Verjährung abgewiesen.
Es führt u.a. aus, es sei unklar geblieben, ob diese 40 Mio. EUR sich auf beide Forderungspositionen oder nur auf eine (in welcher Höhe?) beziehen. Es sei dem Beklagten daraus nicht möglich, zu beur...