Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Schadensersatzanspruch wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtung aufgrund Verhaltensänderung des Herstellers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat das Kraftfahrtbundesamt vor Erwerb eines mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtungen versehenen Fahrzeugs durch den Geschädigten wegen dieser Abschalteinrichtung Maßnahmen angeordnet und wurde darüber in den Medien berichtet, obliegt es dem Geschädigten, das Nichtvorliegen vom Schädiger behaupteter Umstände zu beweisen, welche die Beurteilung seines Verhaltens als nicht sittenwidrig wegen einer Verhaltensänderung rechtfertigen. (Rn. 26)

2. Hat der Fahrzeughersteller eine Webseite eingerichtet, mit der es Käufern unter der Eingabe der FIN ermöglicht wurde, die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs zu ermitteln, und zudem seine Vertriebspartner angewiesen, potentielle Kunden über den Sachverhalt zu informieren, hat er damit sein ursprüngliches Verhalten geändert und ersetzt durch die Strategie, an die Öffentlichkeit zu treten, Unregelmäßigkeiten einzuräumen und in Zusammenarbeit mit dem Kraftfahrtbundesamt Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustands zu erarbeiten, um die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung auszuschließen. Im Hinblick auf dieses Gesamtverhalten ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht mehr gerechtfertigt. (Rn. 25 - 28)

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Landshut (Urteil vom 10.11.2022; Aktenzeichen 53 O 1158/22)

 

Tenor

1. Das Versäumnisurteil des Oberlandesgerichts München vom 19.06.2023 bleibt aufrechterhalten.

2. Die Klägerin trägt auch die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung aus dem Endurteil und die weitere Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil vom 19.06.2023 durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 39.321,44 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klagepartei erwarb am 28.11.2018 beim -Zentrum in einen Audi A6 Avant, Erstzulassung 22.01.2018, zum Preis von 58.880,00 EUR brutto. Zum Zeitpunkt des Kaufs wies das Fahrzeug mit der FIN einen Kilometerstand von 9.965 km auf. In diesem Fahrzeug ist ein 3 Liter-V-TDI-Dieselmotor, welcher von der Beklagten federführend entwickelt und hergestellt wurde, verbaut. Dieser Motor weist eine Leistung von 240 kW auf und unterliegt der Abgasnorm Euro 6.

Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) teilte zuvor im Rahmen einer Pressemitteilung vom 23.01.2018 mit, dass bei der Überprüfung der Audi 3.0 l Euro 6 Modelle A4, A5, A6, A7, A8, Q5, SQ5, Q7 durch das KBA unzulässige Abschalteinrichtungen nachgewiesen worden seien und das KBA deshalb in den vergangenen Wochen verpflichtende Rückrufe dieser Fahrzeuge angeordnet habe, um die Vorschriftsmäßigkeit der produzierten Fahrzeuge wiederherzustellen. Es kam insoweit auch zu Presseberichterstattungen.

Für das streitgegenständliche Fahrzeug erfolgte in der Folgezeit ein Rückruf durch das KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Der Hersteller-Code der Rückrufaktion lautete 23X6.

Zwischen dem Abschluss des Kaufvertrages und der Übergabe des Fahrzeugs am 13.12.2018 wurde das vom KBA im Rahmen des Rückrufs verpflichtend angeordnete Software-Update am 07.12.2018 aufgespielt.

Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz betrug der Kilometerstand 111.907 km.

Mit ihrer Klage macht die Klägerin im Rahmen des sog. "Abgasskandals" Schadenersatzansprüche in Höhe des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des gegenständlichen Fahrzeugs geltend. Weiter beantragt sie die Feststellung des Annahmeverzugs und die Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.002,41 EUR nebst Zinsen. Durch den verbindlichen Rückruf des KBA betreffend das streitgegenständliche Fahrzeug stehe fest, dass hier eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden sei. Die Klägerin habe zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses keine Kenntnis davon gehabt, dass auch die 3-Liter-Motoren von Audi vom Dieselabgasskandal und von einer Rückrufaktion des KBA betroffen gewesen seien. Zudem bestehe der Schadenersatzanspruch auch unter dem Gesichtspunkt einer Manipulation der Schaltpunktsteuerung des Automatikgetriebes.

Die Beklagte bringt vor, sie habe bereits zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses konkrete Schritte zur Überarbeitung der Motorsteuerungssoftware eingeleitet. Über den anstehenden Rückruf und die Durchführung des Software-Updates habe die Beklagte in Abstimmung mit dem KBA die Öffentlichkeit informiert. Unter dem Gesichtspunkt der Verhaltensänderung - im Sinne der Rechtsprechung des BGH - fehle es damit an einer Sittenwidrigkeit und an einer haftungsbegründenden Kausalität. Die von der Klagepart...

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