Leitsatz (amtlich)
1. Textnachrichten oder Attachments in Gestalt von Textverarbeitungs- oder PDF-Dateien oder ausreichend guter Fotos per WhatsApp wahren bei rechtsgeschäftlich vereinbarter Schriftform die Voraussetzungen des § 127 Abs. 2 S. 1 BGB. Dies gilt nicht bei WhatsApp-Sprachnachrichten oder Video- oder Audio-Attachments.
2. Eine Willenserklärung kann auch mittels Zeichen kundgetan werden, d.h. auch durch digitale Piktogramme - wie Emojis. Ob der Verwender von Emojis einen Rechtsbindungswillen zum Ausdruck bringen oder lediglich seine Stimmungs- oder Gefühlslage mitteilen möchte, ist eine Frage der Auslegung.
3. Faktoren wie Nationalität und Muttersprache, kultureller Hintergrund sowie Alter, Geschlecht oder Persönlichkeitsstruktur können sowohl die Nutzung als auch das Verständnis von Emojis beeinflussen.
4. Emojis bergen die Gefahr von Missverständnissen und Fehlschlüssen, weil die konkret verwendeten Symbole möglicherweise auf einem spezifischen "Emoji-Soziolekt" beruhen, der bloß innerhalb einer bestimmten Gruppe existiert.
5. Zu Bestimmung des Bedeutungsgehalts von Emojis kann der Rechtsanwender gegebenenfalls Emoji-Lexika zurate ziehen. Hinweise auf das Verständnis eines Emojis können auch aus dem Begleittext folgen.
Verfahrensgang
LG München II (Aktenzeichen 5 O 3532/22) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts München II vom 22.12.2023, Az. 5 O 3532/22, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Der Beklagte wird unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an den Kläger 59.500 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.06.2022 zu zahlen.
2. Die Widerklage wird abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 115 % des von ihm jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um wechselseitige Ansprüche aus einem Neuwagenkauf eines Pkw nach beiderseitigen Rücktritten vom Kaufvertrag. Der Kläger begehrt mittels der Klage die Rückzahlung der von ihm geleisteten Vorschusszahlung in Höhe von 59.500 EUR. Der Beklagte macht mit der Widerklage einen Schadensersatzanspruch geltend, da er im Rahmen des aufgrund der Nichtabnahme des Pkw durch den Kläger erforderlichen Weiterverkaufs einen Verlust von 103.616 EUR gemacht habe. Dieser Schaden übersteige den Rückzahlungsanspruch des Klägers um 44.116 EUR.
Der Beklagte betreibt unter der Firma "..." einen Pkw-Handel in B
Die Parteien vereinbarten am 19.11.2020 eine "Verbindliche Bestellung eines Neufahrzeugs" (klägerisches Anlagenkonvolut, ebenso Anlage B 1; im Folgenden: Kaufvertrag) hinsichtlich eines Pkw, Marke Ferrari, Typ SF90 Stradale (im Folgenden: Pkw). Der Kläger trat hierbei als Betreiber seiner Immobilienfirma auf.
Im Kaufvertrag war unter anderem Folgendes aufgeführt:
"Liefertermin:2./3. Quartal 2021 (unverbindlich)
(...)
Bei einem unverbindlich vereinbarten Liefertermin kann der Käufer den Verkäufer zur Lieferung erst anmahnen, wenn der unverbindliche Liefertermin um zwei Quartale überschritten ist."
Weiterhin war darin geregelt:
"Kaufpreis:Listenpreis zzgl. Aufpreis EUR 80.000 netto (...)"
Der Aufpreis von 80.000 EUR wurde unstreitig zumindest auch für eine zeitnahe Lieferung des Pkw vereinbart.
Im Kaufvertrag steht zudem:
"Es gelten die AGB des Herstellers, sofern keine abweichende Regelung in diesem Vertrag vereinbart wurde."
Schließlich vereinbarten die Parteien:
"Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform."
Die im Kaufvertrag vereinbarte Anzahlung von 50.000 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer, mithin 59.500 EUR, zahlte der Kläger unbestritten im Jahr 2020.
Die Parteien führten in der Folge eine umfangreiche Konversation mittels Textnachrichten über den Instant-Messaging-Dienst WhatsApp (s. Anlagen B 2 bis B 4, B 12).
So schrieb der Beklagte am 23.09.2021 an den Kläger:
"Hallo Herr A.,
Der SF 90 Stradale rutscht leider auf erstes Halbjahr 2022.
Das konnten wir nicht absehen und können wir nicht beeinflussen.
Immerhin ist der dann zur nächsten Saison da.
Viele Grüße, P."
Hierauf antwortete der Kläger
"Ups ..."
und ergänzte
"Trotzdem danke für die Info. Gibt's irgendwas schriftliches ? Wenigstens eine Bestätigung der Order."
Der Beklagte schrieb daraufhin an den Kläger:
"Verstehe Ihr Anliegen, kümmer mich drum."
Am 28.09.2021 schickte der Kläger an den Beklagten folgende Textnachricht:
"Wir haben das Auto konfiguriert. Da muss es irgendwas schriftliches von Ferrari geben."
Hierauf übersandte der Beklagte am 29.09.2021 eine Datei namens "AB SF90 Stradale ... A.pdf" und schrieb dazu:
"Hallo Herr A.,
hier sehen Sie, Ihre Ausstattung w...