Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Leistungspflicht des privaten Krankenversicherers bei künstlicher Befruchtung mit fremder Eizelle

 

Leitsatz (amtlich)

1. In der privaten Krankenversicherung besteht keine Leistungspflicht für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mit gespendeten fremden Eizellen (sogenannte heterologe lnvitro-Fertilisation).

2. Die Erstreckung des Versicherungsschutzes auf Europa in § 1 Abs. 4 MB/KK 2009 führt bei sinnentsprechender Auslegung nicht dazu, dass dadurch eine Erstattungspflicht für in Deutschland verbotene Heilbehandlungsmaßnahmen bei deren Durchführung im europäischen Ausland generiert würde.

3. Der private Krankenversicherer kann die Erstattung für eine heterologe Invitro-Fertilisation im Ausland jedenfalls gemäß 242 BGB nach Treu und Glauben verweigern.

4. Auch die künstliche Befruchtung mit gespendeten fremden Eizellen stellt eine Heilbehandlung im Sinne des § 1 Abs. 2 MB/KK 2009 dar.

5. Der Verstoß einer solchen Kinderwunschbehandlung gegen § 1 Abs. 1 Nr. 2 (und Nr. 5) ESchG führt in Deutschland, nicht aber in Ländern des europäischen Auslands, in denen diese Form der künstlichen Befruchtung erlaubt ist (hier Tschechien), gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit des Behandlungsvertrages.

 

Normenkette

BGB §§ 134, 242; ESchG § 1 Abs. 1 Nr. 5; MB/KK 2009 § 1 Abs. 4; EMRK Art. 8, 14

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 24.11.2015; Aktenzeichen 23 O 14874/14)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 14.06.2017; Aktenzeichen IV ZR 141/16)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 24.11.2015, Az. 23 O 14874/14, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des je zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen, soweit die Erstattung von Kosten für die Behandlungen in Tschechien betroffen ist.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 24.167,57 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Erstattung von Behandlungskosten wegen künstlicher Befruchtung aus einem zwischen den Parteien geschlossenen privaten Krankenversicherungsvertrag geltend.

Die Klägerin unterhält bei der Beklagten eine private Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung. Zugrunde liegen die Musterbedingungen 2009 des Verbandes der privaten Krankenversicherung (MB/KK 2009, Anlage K 2). Deren § 1 (1) lautet auszugsweise: "Der Versicherer bietet Versicherungsschutz für Krankheiten, Unfälle und andere im Vertrag genannte Ereignisse". Der Versicherungsfall wird dabei in § 1 (2) MB/KK 2009 definiert wie folgt: "Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischen Befund Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr besteht". § 1 (3) MB/KK 2009 bestimmt: "Der Umfang des Versicherungsschutzes ergibt sich aus ... sowie den gesetzlichen Vorschriften. Das Versicherungsverhältnis unterliegt deutschem Recht." In § 1 (4) MB/KK 2009 findet sich weiter folgende Regelung: "Der Versicherungsschutz erstreckt sich auf Heilbehandlung in Europa. (...)".

Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 Embryonenschutzgesetz (ESchG) wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt; gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG gilt die gleiche Strafandrohung für den, der es unternimmt, mehr Eizellen einer Frau zu befruchten, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen.

Die am 29.12.1969 geborene Klägerin und ihr Ehemann waren kinderlos. Die Klägerin führte zunächst eine In-Vitro-Fertilisation (IVF) in einer Gemeinschaftspraxis in M. durch, im Zeitraum von Juni bis Dezember 2011 wurden insgesamt 5 letztlich erfolglose Befruchtungsversuche vorgenommen. Daraufhin begab sich die Klägerin zu einer Behandlung in die Tschechische Republik in P. zu einem dortigen IVF-Zentrum. Dort wurden im Jahr 2012 insgesamt drei Versuche einer Eizellspende mit IVF-Behandlung sowie verlängerter Embryokultivierung (Blastozystentransfer) durchgeführt. Den Spenderinnen wurden 7 bzw. 9 Eizellen entnommen, von denen durch den Partner der Klägerin 6 bzw. 5 bzw. 8 befruchtet werden konnten und es zum Transfer von je 2 Blastozysten kam. Beim letzten Versuch der Eizellspende kam es zu einer Zwillingsschwangerschaft und am 29.07.2013 zur Entbindung von zwei Jungen. Im Anschluss an die Behandlungen wurden der Klägerin die streitgegenständlichen Beträge berechnet. Die Kläger...

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