Entscheidungsstichwort (Thema)
Anscheinsbeweis und Haftungsverteilung bei Verkehrsunfall im Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel
Leitsatz (amtlich)
1. Steht die Kollision zweier Kraftfahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Wechsel des Fahrstreifens, so spricht der Anscheinsbeweis für die Missachtung der Sorgfaltspflichten, die für den Fahrstreifenwechsler gelten, wobei die Haftungsabwägung regelmäßig zu dessen Alleinhaftung führt.
2. Wer mit seinem Kraftfahrzeug auf ein vorausfahrendes oder vor ihm stehendes Kraftfahrzeug auffährt, hat den Anscheinsbeweis gegen sich, wonach er entweder nicht den nötigen Sicherheitsabstand eingehalten hat, mit unangepasster Geschwindigkeit gefahren ist oder falsch reagiert hat. Eine bloße Teilüberdeckung der Fahrzeugschäden an Heck und Front lässt nicht auf einen atypischen Geschehensablauf schließen.
3. Der Aussage eines Zeugen kommt keine zwingende prozessrechtliche Priorität vor der Anhörung einer Partei im Rahmen des § 141 ZPO oder auch nur dem Prozessvertrag der anderen Seite zu.
Normenkette
BGB § 823; StVG § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1-3; StVG § 18 Abs. 1; StVO § 7 Abs. 5; ZPO §§ 141, 286, 412 Abs. 1
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 28.04.2017; Aktenzeichen 17 O 19700/15) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin vom 31.05.2017 gegen das Endurteil des LG München I vom 28.04.2017 (Az. 17 O 19700/15) wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das vorgenannte Urteil des LG München I sowie dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
B. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
I. Das Landgericht hat nach dem Ergebnis der vom Senat wiederholten und um das erholte Sachverständigengutachten der Dipl.-Ing. Karin K. ergänzten Beweisaufnahme im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen. Zwar wurde das klägerische Fahrzeug bei einem Zusammenstoß mit dem vom Beklagten zu 2) im Unfallzeitpunkt geführten und bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Kraftfahrzeug beschädigt. Dennoch ergibt sich kein Zahlungsanspruch des Klägers aus §§ 7 I StVG, 18 I StVG i. Verb. m. § 115 I 1 Nr. 1 VVG, 823 BGB.
1. Der Senat hat zur Aufklärung des Unfallgeschehens erneute und ergänzende Feststellungen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO) getroffen, die den Sachverhalt vervollständigen. Aufgrund dieser Feststellungen ist der Senat davon überzeugt, dass der streitgegenständliche Unfall in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Spurwechsel des klägerischen Fahrers steht und die Klägerin daher wegen eines Verstoßes gegen § 7 V StVO in vollem Umfang selbst für ihren Schaden zu haften hat, da ein Verschulden des Beklagten zu 2) nicht ersichtlich ist, eine etwaige Haftung der Beklagten zu 1) aus Betriebsgefahr jedenfalls hinter den schweren Verkehrsverstoß des klägerischen Fahrers zurücktreten würde.
2. Nach dem von den Beklagten vorgebrachten Unfallhergang versuchte der klägerische Fahrer, der Zeuge Y., mit dem Pkw Porsche der Klägerin, von der Einfädelspur nach links in die rechte Geradeausspur des Mittleren Rings einzufahren, ohne auf den dort fahrenden, vom Beklagten zu 2) gesteuerten Lkw zu achten, weshalb es zur Kollision beider Fahrzeuge gekommen sei. Dabei sei, was dem geschilderten Unfallhergang entspreche, am klägerische Pkw Porsche ein Schaden auf dessen linker Seite hinten entstanden.
Nach der durchgeführten Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass diese Unfalldarstellung richtig ist. Die überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dipl.-Ing. K. bestätigen diese Unfallversion, während die Unfallversion des klägerischen Fahrers unglaubhaft ist.
a) Eine Anhörung des Beklagten zu 2) (vgl. hierzu BVerfG NJW 2008, 2170) durch den Senat konnte nicht erfolgen, da der Beklagte zu 2) inzwischen verstorben ist. Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass der Aussage eines Zeugen keine zwingende prozessrechtliche Priorität vor der Anhörung einer Partei im Rahmen des § 141 ZPO oder auch nur dem Prozessvortrag der anderen Seite selbst zukommt (BVerfG NJW 1999, 2531 [2532]; BGH LM § 286 ZPO [B] Nr. 4 und [C] Nr. 64; NJW-RR 1988, 471; 1990, 1061; 1991, 917; BGHZ 122, 115 [121] = NJW 1993, 1638; NJW 1998, 306 [307]; NJW 1999, 363 [364]; KG VersR 2009, 1557; MDR 2009, 680). Die Klägerin selbst nimmt im Schriftsatz vom 05.07.2018 (Bl. 160/162 d.A.) selbst auf die polizeiliche Anhörung des Beklagten zu 2) vom Unfalltag Bezug, wonach dieser angegeben hat, der Zeuge Y. sei ihm mit dem Porsche derartig kurz vor seinen Lkw gefahren, dass er nicht mehr rechtzeitig bremsen habe können (vgl. S. 3 = Bl. 162 d.A.).
b) Der vom Zeugen M. Y. vorgebrachte Unfallhergang ist nicht glaubhaft.
Die Angaben des Zeugen Y. waren bereits in wesentlichen Teilen widersprüchlich:
Bei seine...