Leitsatz (amtlich)

Die Treuepflicht verlangt, dass man sich auf Erklärungen und Mitteilungen des Vertragspartners muss verlassen können, soweit diese die Grundlage für das eigene schützenswerte Verhalten bilden. Mit Treu und Glauben lässt sich nicht vereinbaren, dass der eine Vertragspartner seine Haltung, auf die sich der andere längere Zeit bindend eingerichtet hat, ohne aus dem Vertragsverhältnis herrührende, zwingende Gründe nachträglich ändert (hier: Ausschluss der Kündigungsmöglichkeit im Rahmen eines langfristigen Mietvertrages bis zur Amortisierung von Investitionen).

 

Normenkette

BGB § 242

 

Verfahrensgang

LG München I (Aktenzeichen 9 O 8908/93)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des LG München I, 9. Zivilkammer, vom 13.12.1993 aufgehoben.

II. Es wird festgestellt, dass eine ordentliche Kündigung des Mietvertrages vom 21./29.10.1975 nach § 16 Abs. 1 der Allgemeinen Lagerplatzbedingungen durch die Beklagte bis zum 31.12.2005 nur aus betriebstechnischen Gründen wirksam ist.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt die Feststellung, dass die Kündigung eines Mietverhältnisses nach dem 28.2.1997 nur wirksam ist, wenn betriebstechnische Gründe vorliegen, hilfsweise, dass bei einer wirksamen Kündigung, nach dem 28.2.1997 die beklagte Partei zum Schadensersatz verpflichtet ist.

Die beklagte Partei ist Eigentümerin des Grundstücks L.-Straße 238–242 in M., das bis zum In-Kraft-Treten des Eisenbahnneuordnungsgesetzes (BGBl. I 1993, 2378) zum Vermögen der Deutschen Bundesbahn gehört hatte. Die Beklagte hatte von der Deutschen Bundesbahn zunächst das Grundstück L.-Straße 177–179 gemietet. Mit Vertrag vom 21./29.10.1975 (Anl. K 1) vermietete die Deutsche Bundesbahn statt des genannten Grundstücks an die Klägerin ab 1.1.1976 das Anwesen L.-Straße 238–242.

Das Recht zur ordentlichen Kündigung nach § 16 Abs. 1 der Allgemeinen Lagerplatzbedingungen, die Vertragsinhalt wurden, war gem. § 5g Nr. 1 des Mietvertrages zunächst bis zum 31.12.1980 ausgeschlossen. Der Kündigungsausschluss wurde in Nachträgen vom 5./9.8.1982 und 19.2.1987 bis zuletzt 28.2.1997 verlängert.

Das Mietverhältnis wurde bislang nicht gekündigt.

Ein Teil des angemieteten Geländes wurde von der Klägerin mit Einverständnis der Deutschen Bundesbahn untervermietet.

Mit Schreiben vom 15.3.1990 (Anl. K 5) teilte die Deutsche Bundesbahn der Klägerin mit, dass das Vertragsverhältnis über den 28.2.1997 hinaus nicht verlängert werden kann, sollten sich neue Gesichtspunkte ergeben, würde die Klägerin umgehend benachrichtigt.

Die Klägerin hat vorgetragen, seit 1975 sei durch Mitarbeiter der Deutschen Bundesbahn immer wieder zugesagt worden, eine Beendigung des Mietverhältnisses durch die Vermieterin werde nur aus betriebstechnischen Gründen erfolgen. Das Gelände könne in einem solchen Fall aber weitere 20 bis 30 Jahre genutzt werden.

Die Klägerin hat behauptet, ihr seien bei Anmietung des Grundstücks erhebliche Ablöse-, Renovierungs- und Umbaukosten entstanden. Außerdem habe sie im Vertrauen auf eine langfristige Mietdauer erhebliche Investitionen getätigt.

Die Klägerin hat die Meinung vertreten, eine Beendigung des Mietverhältnisses aus anderen als aus betriebstechnischen Gründen würde im Hinblick auf die getätigten Investitionen und mündlichen Zusagen gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen. Sollte die ordentliche Kündigung auch ohne das Vorliegen betriebstechnischer Gründe wirksam sein, so sei die Beklagte wenigstens zum Schadensersatz verpflichtet.

Die Klägerin hat beantragt:

Es wird festgestellt, dass eine ordentliche Kündigung des Mietvertrages vom 21./29.10.1975 nach § 16 (1) der Allgemeinen Lagerplatzbedingungen durch die Beklagte nach dem 28.2.1997 nur wirksam ist, wenn die Beklagte aus betriebstechnischen Gründen kündigt.

Hilfsweise:

Es wird festgestellt, dass bei wirksamer Kündigung des Mietvertrages vom 21./29.10.1975 nach dem 28.2.1997 die Beklagte der Klägerin ggü. verpflichtet ist, den Schaden zu ersetzen, der dadurch entsteht, dass die Klägerin auf die mehrfachen Zusagen der Beklagten, dass eine Kündigung nur aus in Zukunft nicht zu erwartenden betriebstechnischen Gründen erfolgt, vertraut hat.

Die beklagte Partei hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die behaupteten mündlichen Zusagen bestritten und die Ansicht vertreten, der Klage fehle sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag das Rechtsschutzbedürfnis.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Klage sei im Hauptantrag zwar zulässig, aber unbegründet. Eine Kündigung durch die Beklagte im Jahre 1997 wäre nicht unwirksam. Bei den Verhandlungen, die zum Nachtrag vom 19.2.1987 mit dem Kündigungsausschluss bis zum 28.2.1997 geführt hätten,...

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