Entscheidungsstichwort (Thema)
Abofallenbetreibern "das Handwerk legen"
Leitsatz (amtlich)
Der Aufruf einer Verbraucherzentrale, Banken zur Kündigung von Konten aufzufordern, welche Betreiber sog. Abofallen im Internet bei ihnen unterhalten, kann von der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) gedeckt sein.
Normenkette
GG Art. 5 Abs. 1 S. 1; BGB § 823 Abs. 1
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 20.03.2012; Aktenzeichen 33 O 24690/11) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Antragsgegnerin werden das Urteil des LG München I vom 20.3.2012 sowie die einstweilige Verfügung des LG München I vom 15.11.2011 aufgehoben und der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Rechtstreits zu tragen.
Gründe
A. Die Antragstellerin bietet im Internet Dienstleistungen (Routenplanungen sowie den Abruf von Gedichten, Liedtexten oder Kochrezepten) gegen Entgelt an; Dienstleistungen der genannten Art können im Internet häufig kostenlos in Anspruch genommen werden. Wer die Angebote der Antragstellerin nutzen will, muss seine Daten angeben, Allgemeine Geschäftsbedingungen sowie eine Datenschutzerklärung akzeptieren und einen mit Sternchen-Hinweis versehenen Button Jetzt anmelden anklicken. Der erläuternde Text zu dem Sternchen-Hinweis in einem Kasten neben der Anmeldemaske lautet wie folgt (vgl. Anl. ASt. 6):
*Vertragsinformation
Durch Drücken des Buttons "Jetzt Anmelden" entstehen Ihnen Kosten von 96 EUR inkl. Mwst pro Jahr (12 Monate zu je 8 EUR). Vertragslaufzeit 2 Jahre. [...]
Die Antragsgegnerin, die Verbraucherzentrale Hamburg e.V., ist eine qualifizierte Einrichtung gem. § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG, § 4 UKlaG. Sie erachtet das Angebot der Antragstellerin als unlauter. In ihrem Internetauftritt veröffentlichte sie folgenden Text (vgl. Anl. ASt. 3):
Abofallenbetreibern das Handwerk legen
Was kann ich tun, um den Betreibern das Handwerk zu legen?
Da die Betreiber der Abofallen oft im Ausland sitzen, ist ein direktes Vorgehen (Unterlassungsklage durch Verbraucher oder Verbraucherzentrale) häufig schwierig. Zudem wird die Identität der Hintermänner oft bewusst verschleiert.
Umso mehr ist die [Antragsgegnerin] bemüht dazu beizutragen, den Sumpf zumindest in Deutschland trocken zu legen. Über die von uns ständig aktualisierte Tabelle [...] erfahren Sie Namen und Anschrift der von den Betreibern beauftragten Geldinstitute, Inkassodienste und Rechtsanwälte.
Am besten können Sie den Gaunern in die Suppe spucken, wenn Sie dazu beitragen, dass deren Konto gekündigt und das Geld an die Absender zurücküberwiesen wird.
Schreiben Sie so an die Bank/Sparkasse, auf deren Konto das Geld überwiesen werden soll (Kontoinstitut über Bankleitzahl ermitteln):
"Sehr geehrte Damen und Herren,
ich habe den Verdacht, dass über das Konto ... bei Ihrer Bank illegale Beträge fließen. Es geht um Abofallen. Ich appelliere an Sie, das Konto zu kündigen und das eingegangene Geld an die Absender zurück zu überweisen.
Mit freundlichem Gruß"
Auch die Verbraucherzentrale schreibt solche Briefe an die Banken/Sparkassen. Häufig haben die Geldinstitute bereits reagiert, weil auch sie nichts mit den Fallenstellern zu tun haben wollen. Aber es kann nützen, wenn auch viele Verbraucher sich dort beschweren!
Außerdem enthielt der Internetauftritt der Antragsgegnerin ein 23-seitiges Dokument mit der Bezeichnung Übersicht Abofallen der [Antragsgegnerin], in welchem die Antragstellerin auf Seite x mit zwei früheren Kontoverbindungen genannt wird (vgl. Anl. ASt. 5).
Die Antragstellerin hat im Beschlussweg eine einstweilige Verfügung des LG erwirkt, mit welcher der Antragsgegnerin unter Androhung von Ordnungsmitteln untersagt wurde,
Dritte dazu aufzufordern, dass diese die Bank oder Sparkasse anschreiben, bei welcher die Antragstellerin ein Girokonto unterhält, und diese aufzufordern, dieses Girokonto zu kündigen und/oder eingegangenes Geld an die Absender zurück zu überweisen.
Hiergegen hat die Antragsgegnerin Widerspruch eingelegt und beantragt, die einstweilige Verfügung aufzuheben und den auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichteten Antrag zurückzuweisen.
Die Antragstellerin hat beantragt, die einstweilige Verfügung zu bestätigen.
Mit Urteil vom 20.3.2012, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das LG die einstweilige Verfügung bestätigt, weil es in dem Aufruf einen Eingriff in den Gewerbebetrieb der Antragstellerin gesehen hat, der auch unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit der Antragsgegnerin rechtswidrig sei.
Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem ersten Rechtszug und beantragt, das landgerichtliche Urteil und die einstweilige Verfügung aufzuheben sowie den auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichteten Antrag zurückzuweisen.
Die Antragstellerin verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und...