Leitsatz (amtlich)
1. Eine von einem Kraftstoffunternehmen einem Tankstellenpächter, der für das Unternehmen als Handelsvertreter tätig ist, gestellte Allgemeine Geschäftsbedingung, durch die dem Pächter bei Kartenzahlungen von Kunden eine Disagiolast auferlegt wird, die der Unternehmer dem Pächter von der Provision abzieht, unterliegt grundsätzlich der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB.
2. Eine solche Regelung ist gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB unwirksam, wenn die Disagiolast prozentual an den getätigten Umsatz pro 100 Liter Kraftstoff und damit an den Kraftstoffpreis pro Liter gekoppelt ist, die dem Pächter zustehende Provision demgegenüber umsatzunabhängig allein von der verkauften Kraftstoffmenge abhängig ist, so dass bei mit der Zeit steigenden Kraftstoffpreisen eine erhebliche Absenkung der an den Pächter ausbezahlten Provision, möglicherweise gar auf (oder sogar unter) Null droht. In diesem Fall liegt eine strukturelle Gefährdung des Äquivalenzinteresses durch die Disparität der Bemessungsgrundlage für das Entgelt des Handelsvertreters einerseits und dessen Kostenbeteiligung andererseits vor.
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Landgerichts München I, Az. 10 HK O 1745/19, vom 09.03.2020 dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 36.915,49 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 12.750,41 EUR ab dem 01.01.2016 bis zum 15.12.2018, aus einem Betrag von 11.937,78 EUR ab dem 01.01.2017 bis zum 15.12.2018, aus einem Betrag von 12.227,30 EUR ab dem 01.01.2018 bis zum 15.12.2018, sowie Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 36.915,49 EUR ab 16.12.2018 zu zahlen.
2. Von den Kosten der ersten Instanz trägt die Klägerin 32 % und die Beklagte 68 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Regelung in ihrem Vertriebsvertrag, durch die die Klägerin als Tankstellenpächterin und Handelsvertreterin mit Kosten belastet wird, wenn Kunden mit Kredit- oder EC-Karten zahlen, wobei diese Kosten von der Beklagten als Prinzipalin von der Provision der Klägerin in Abzug gebracht werden.
Die Beklagte ist eine Kraftstofffirma. Die Klägerin ist Pächterin der Autobahntankstelle H. Süd.
Bezüglich dieser Tankstelle schloss die Beklagte mit der Klägerin am 21.06./15.09.2006 einen Vertriebsvertrag, der auf einem zwischen der Beklagten und der Autobahn Tank & Rast bestehenden BAT-Vertrag basierte (Anlage K1).
Durch den Vertriebsvertrag übernahm es die Klägerin, im Namen und für Rechnung der Beklagten als deren Handelsvertreter Kraft- und Schmierstoffe der Beklagten an der Tankstelle H. Süd zu verkaufen (§ 2 a Vertriebsvertrag).
§ 2 b des Vertriebsvertrages regelt auszugsweise das Folgende:
"Die Kraftstofffirma zahlt dem Tankstellenpächter für den Verkauf von Kraftstoffen an der in § 1 genannten Autobahntankstelle folgende Provisionen / Auslieferungsvergütungen:
für Ottokraftstoffe:
EUR 1,84 je 100 Liter als Provision bei einem Absatz bis 2 Mio. Liter je Kalenderjahr
EUR 1,07 je 100 Liter als Provision bei einem Absatz über 2 Mio. Liter je Kalenderjahr für die 2 Mio. Liter übersteigenden Mengen
für Dieselkraftstoffe:
EUR 1,41 je 100 Liter als Provision im Bargeschäft bei einem Absatz bis 2 Mio. Liter je Kalenderjahr
EUR 0,88 je 100 Liter als Provision im Bargeschäft bei einem Absatz über 2 Mio. Liter je Kalenderjahr für die 2 Mio. Liter übersteigenden Mengen
EUR 1,25 je 100 Liter als Auslieferungsvergütung im Rahmen der Kreditsystemverfahren bei einem Absatz bis 2 Mio. Liter je Kalenderjahr
EUR 0,72 je 100 Liter als Auslieferungsvergütung im Rahmen der Kreditsystemverfahren bei einem Absatz über 2 Mio. Liter je Kalenderjahr für die 2 Mio. Liter übersteigenden Mengen
(...)"
Am 21.06./10.07.2006 schlossen die Parteien eine Zusatzvereinbarung, bestehend aus von der Beklagten gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen, für die Abwicklung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs (Anlage K2).
Ziffer 9 der Vereinbarung lautet auszugsweise:
"9. (...) Jeweils am Monatsende erhält Partner eine Gutschrift über alle getätigten Kartenumsätze einschließlich folgender von ihm zu tragenden anteiligen Gebühren- und Disagiobelastungen im Kreditkartengeschäft für die im Wege der Kundenselbstbedienung getätigten Gesamtumsätze.
a) (...)
b) bei Eurocard, Visa, Diners, American Express eine Disagiobelastung von 0,63 % netto.
c) Im EC-Geschäft/electronic-cash mittels Euroscheckkarte erfolgt eine Gebührenbelastung von 0,10 % netto.
Sollten sich die von A. zu tragenden Belastungen (...) ändern, ist A. zu einer...