Entscheidungsstichwort (Thema)
Scheinurteil mangels ordnungsgemäßer Verkündung
Leitsatz (amtlich)
1. Ausweislich des Akteninhalts wurde das Ersturteil nicht verkündet, da ein Verkündungsprotokoll nicht vorliegt. Es handelt sich daher um ein Scheinurteil. (Rn. 3)
2. Ein Verkündungstermin, der bereits abgelaufen ist, kann nicht verlegt werden. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Zustimmung zum schriftlichen Verfahren kann im Anwaltsprozess nicht telefonisch, sondern nur in mündlicher Verhandlung oder schriftlich erteilt werden. (Rn. 8)
4. Als Folge der Nichtverkündung muss der Senat die Nichtexistenz eines erstinstanzlichen Urteils durch Aufhebung der den Parteien zugegangenen Entscheidung klarstellen und die Sache an das erstinstanzliche Gericht zwecks Beendigung des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens zurückverweisen. (Rn. 10)
Normenkette
GKG § 21 Abs. 1 S. 1; ZPO § 128 Abs. 2, § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 02.01.2020; Aktenzeichen 17 O 894/17) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten vom 07.02.2020 wird das Endurteil des LG München I vom 02.01.2020 (Az. 17 O 894/17) aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG München I zurückverwiesen.
2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG München I vorbehalten. Gerichtsgebühren für die Berufungsinstanz sowie gerichtliche Gebühren und Auslagen, die durch das aufgehobene Urteil verursacht worden sind, werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
B. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache jedenfalls vorläufig Erfolg.
I. Zwar hat das Landgericht nach derzeitigem Verfahrensstand zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz teilweise bejaht und dabei die sachlich-rechtlichen Fragen im Ergebnis zutreffend beantwortet. Allerdings wurde ausweislich des Akteninhalts das Ersturteil nicht verkündet, da ein Verkündungsprotokoll nicht vorliegt. Es handelt sich daher um ein Scheinurteil (vgl. hierzu genauer und hinsichtlich der rechtlichen Konsequenzen Senat NJW 2011, 689). Ein solches "Urteil" beendet nicht die Instanz, vielmehr handelt es sich nur um einen Urteilsentwurf, der aber mit der Berufung zur Beseitigung des durch die Zustellung bewirkten Rechtsscheins angegriffen werden kann.
1. Dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 02.08.2019 (Bl. 121 ff. d.A.) ist zu entnehmen, dass von beiden Parteien für den Fall des Vergleichswiderrufs, der dann erfolgt ist, Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt wurde. Mit Beschluss vom 22.08.2019 (Bl. 126/128 d.A.) wurde die Entscheidung im schriftlichen Verfahren beschlossen und ein Verkündungstermin am 22.10.2019 bestimmt. Eine Entscheidung vom 22.10.2019 ist der Akte nicht zu entnehmen. Es findet sich dann erst eine Verfügung der Berichterstatterin vom 30.12.2019 (Bl. 132 d.A.), wonach der bereits abgelaufene Verkündungstermin vom 22.10.2019 auf den 02.01.2020 verlegt werde.
2. Die vorstehende Vorgehensweise des Erstgerichts, auf der das Urteil beruht, war in mehrfacher Hinsicht verfahrensfehlerhaft:
a) Ein Verkündungstermin, der bereits abgelaufen ist, kann nicht verlegt werden. Es hätte bei einem Einverständnis der Parteien mit Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch das Gericht (§ 128 II ZPO) erneut ein Beschluss gefasst werden müssen, dass schriftlich entschieden wird.
b) Da jedoch dieses Einverständnis innerhalb der 3-Monatsfrist des § 128 II 3 ZPO nicht vorlag (maßgeblich für den Beginn der Frist war der 02.08.2019), hätte mündliche Verhandlung anberaumt werden müssen (Thomas / Putzo / Seiler, ZPO, 40. Aufl. 2019, § 128 Rd. 29; vgl. hierzu auch BGH WM 2017, 1705).
c) Soweit das Landgericht offenbar der Ansicht ist, dass für die Erteilung eine telefonische Zustimmung reicht (vgl. Vermerk vom 04.12.2019, Bl. 131 d.A.), ist dies rechtsfehlerhaft, da die Zustimmung im Anwaltsprozess nur in mündlicher Verhandlung oder schriftlich erteilt werden kann (vgl. BVerwG NJW 1981, 1852; Thomas/Putzo/Seiler, a.a.O., Rd. 24).
d) Die Verlegung des Verkündungstermins im schriftlichen Verfahren alleine durch die Berichterstatterin war fehlerhaft, da das Gericht den Termin zur Verkündung einer Entscheidung bestimmt (§ 128 II 2 ZPO) und deshalb zwangsläufig auch eine Verlegung durch das Gericht und nicht durch den Berichterstatter, der als solches nach der ZPO hierfür überhaupt nicht zuständig ist, zu erfolgen hat.
II. Als Folge der Nichtverkündung muss der Senat die Nichtexistenz eines erstinstanzlichen Urteils durch Aufhebung der den Parteien zugegangenen Entscheidung klarstellen und die Sache an das erstinstanzliche Gericht zwecks Beendigung des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens zurückverweisen (Senat NJW 2011, 689). Die Fr...