Leitsatz (amtlich)

Berufung, Sittenwidrigkeit, Fahrzeug, Feststellung, Software, Kenntnis, Ablehnung, Haftung, Beweislast, Revision, Zeitpunkt, betrug, Laufleistung, Berufungsverfahren, Darlegungs- und Beweislast, erste Instanz, kein Anspruch

 

Verfahrensgang

LG Ingolstadt (Urteil vom 17.12.2019; Aktenzeichen 71 O 2613/18)

 

Tenor

1. Auf die Berufungen der Klägerin und der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 17.12.2019, Az. 71 O 2613/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1.1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 20.729,89 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 26.958,97 EUR vom 01.02.2019 bis 11.11.2019 und aus 23.431,53 EUR vom 12.11.2019 bis 15.05.2022 sowie aus 20.729,89 EUR seit dem 16.05.2022 Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer ...777 zu zahlen.

1.2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

1.3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klagepartei 61% und die Beklagte 39% zu tragen.

2. Die weitergehenden Berufungen der Parteien werden zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klagepartei 65% und die Beklagte 35% zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klagepartei gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klagepartei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Gründe

I. Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die die Klagepartei gegen die Beklagte wegen des Erwerbs eines Diesel-Pkws geltend macht.

Die vorsteuerabzugsberechtigte Klagepartei erwarb am 28.09.2011 zu einem Preis von 51.625,70 EUR brutto (43.387,03 EUR netto, Anlage K 1) von einem Dritten einen neuen Audi Q5 2.0 TDI quattro, 125 kw (170 PS). Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor EA189 ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die Beklagte ist die Herstellerin des Pkws. Der Kilometerstand zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 12.11.2019 betrug 119.302 km und zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 16.05.2022 156.663 km.

Zur Abgasreinigung wird im streitgegenständlichen Fahrzeug die Abgasrückführung eingesetzt. Das Fahrzeug ist betroffen von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes. Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.

Die Klagepartei ließ das vom Kraftfahrtbundesamt freigegebene und zur weiteren Nutzbarkeit des Fahrzeugs erforderliche Softwareupdate am 09.03.2017 aufspielen.

Mit Klage vom 28.12.2018, bei Gericht eingegangen am selben Tag und der Beklagten zugestellt am 31.01.2019, forderte die Klagepartei zuletzt die Erstattung des vollständigen Kaufpreises - die Nutzungsentschädigung bezifferte sie mit 0 - nebst Delikts- bzw. Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung von Annahmeverzug der Beklagten mit der Rücknahme des Fahrzeugs und die Verurteilung zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Ergänzend wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 17.12.2019 teilweise zugesprochen, nämlich verurteilt zur Zahlung in Höhe von 26.133,17 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs. Die Beklagte hafte nach § 826 BGB. Der Ersatzanspruch errechne sich aus dem Nettokaufpreis abzüglich Nutzungsentschädigung.

Hiergegen richten sich die von beiden Parteien eingelegten Berufungen.

Die Beklagte beantragt (Schriftsatz vom 24.02.2020, Bl. 311 ff. d.A.),

das am 17.12.2019 verkündete Urteil des Landgerichts Ingolstadt, AZ: 71 O 2613/18 im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.

Die Klagepartei beantragt zuletzt nach teilweiser Klagerücknahme in Bezug auf deliktische Zinsen (Schriftsatz vom 16.11.2020, Bl. 381 ff. d.A.),

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Ingolstadt vom 17.12.2019, Az. 71 O 2613/19 [richtig: 2613/18], die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 17.253,86 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ...

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