Entscheidungsstichwort (Thema)
verfassungsmäßig berufener Vertreter, Streitwertfestsetzung, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Nutzungsentschädigung, Maßgeblicher Zeitpunkt, Arglistige Täuschung, Tatbestandswirkung, geldwerter Vorteil, Vorteilsausgleichung, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Herausgabe des Verkaufserlöses, Rechtshängigkeit, Art der Schadensberechnung, Sittenwidrigkeit, Übereinstimmungsbescheinigung, Letzte mündliche Verhandlung, Verbotsirrtum, Bewusster Gesetzesverstoß, Kaufvertragsabschluß, Gesamtlaufleistung
Verfahrensgang
LG München II (Urteil vom 22.02.2023; Aktenzeichen 6 O 3273/22) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts München II vom 22.02.2023, Az. 6 O 3273/22, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.486,56 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 02.11.2022 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 90% und die Beklagte 10%. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 85% und die Beklagte 15%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.281,45 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatz aus dem Kauf eines Dieselfahrzeugs geltend.
Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1. Die vorsteuerabzugsberechtigte Klägerin erwarb am 29.05.2017 bei einem nicht am Verfahren beteiligten Autohaus einen gebrauchten VW Caddy, FIN ...577, Bauzeit vor der 22. Kalenderwoche 2016, Erstzulassung 12.04.2016, mit einer Laufleistung von 10.111 km zum Kaufpreis von 14.865,55 EUR netto/17.690,00 EUR brutto (Anlage K1). Die Klägerin hat den Kaufpreis durch ein Darlehen finanziert und hierfür Zinsen in Höhe von 333,41 EUR verauslagt (Anlage K1a).
Das Fahrzeug ist ausgestattet mit einem Dieselmotor des Typs EA 288, Hubraum 2,0 l, Leistung 75 kW, der der Abgasnorm Euro 6 unterfällt und von der Beklagten entwickelt und gefertigt wurde. Das Fahrzeug verfügt über ein Abgasnachbehandlungssystem in Form eines SCR-Katalysators. In der Motorsteuerungssoftware sind ein Thermofenster und eine Fahrkurvenerkennung hinterlegt.
Das Fahrzeug ist nicht von einem individuellen Rückruf des Kraftfahrtbundesamts betroffen.
Am 01.11.2021 verkaufte die Klägerin das Fahrzeug mit einer Laufleistung von 86.500 km und einem starken Hagelschaden für 6.000,00 EUR netto/7.140,00 EUR brutto weiter (Anlage K1b).
2. Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 17.690,00 EUR Zug um Zug gegen Herausgabe des Verkaufserlöses in Höhe von 7.140,00 EUR nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung zu zahlen. Des Weiteren hat sie beantragt, die Beklagte zu verurteilen, Finanzierungskosten in Höhe von 333,41 EUR sowie die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 540,50 EUR, jeweils nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Klägerin hat ihre Klage in erster Instanz ausschließlich auf die Manipulation des SCR-Katalysators in Kombination mit einer Fahrkurvenerkennung und Modulation der Abgasrückführung gestützt.
3. Das Landgericht München II hat mit Endurteil vom 22.02.2023 die Klage abgewiesen.
Einen Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 826, 31 BGB hat das Landgericht abgelehnt, weil die Klägerin zum vorsätzlichen Handeln verfassungsmäßiger Vertreter oder sonstiger Repräsentanten der Beklagten nicht substantiiert und ohne greifbare Anhaltspunkte vorgetragen habe. Im Übrigen ließen die Behauptungen der Klägerin zu einer Fahrkurvenerkennung, zu einer erhöhten Abgasrückführung im Prüfstandsbetrieb, zur frühzeitigen Inbetriebnahme des SCR-Katalysators und zu einer erhöhten Einspritzung von AdBlue unter Prüfstandsbedingungen kein sittenwidriges Vorgehen der Beklagten erkennen. Es sei davon auszugehen, dass der Motor auf dem Prüfstand und auf der Straße in gleicher Weise betrieben werde, auf dem Prüfstand aber nicht alle im Straßenverkehr relevanten Fahrsituationen geprüft würden. Umstände für eine bewusste Täuschung des Kraftfahrtbundesamts durch die Beklagte oder für das Bewusstsein der Beklagten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, habe die Klägerin nicht aufgezeigt. Darüber hinaus seien ihre Behauptungen zu den sogenannten Abschalteinrichtungen nicht konkret und bestünden in Schlussfolgerungen aus Messungen im Straßenbetrieb. Diese seien indes für das Typgenehmigungsverfahren rechtlich nicht relevant.
Einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs....