Entscheidungsstichwort (Thema)
verfassungsmäßig berufener Vertreter, Streitwertfestsetzung, Art der Schadensberechnung, Berufungsrücknahme, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kostenentscheidung, Nutzungsentschädigung, Vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten, Maßgeblicher Zeitpunkt, Darlegungs- und Beweislast, Arglistige Täuschung, Tatbestandswirkung, geldwerter Vorteil, Vorteilsausgleichung, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Ausnahmen vom Verbot, Rechtshängigkeit, Sittenwidrigkeit, Übereinstimmungsbescheinigung
Verfahrensgang
LG Traunstein (Urteil vom 14.09.2022; Aktenzeichen 6 O 1273/22) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 14.09.2022, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 240,58 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 07.07.2022 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Klägerin.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 28.069,71 EUR festgesetzt.
Gründe
A. I. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatz aus dem Kauf eines Dieselfahrzeugs geltend.
1. Die Klägerin erwarb am 20.11.2015 von der Auto K. GmbH einen von der Beklagten hergestellten VW T6 Multivan 2,0 l TDI, 110 kW mit einer ausländischen Kurzzulassung zum Kaufpreis von 36.450,00 EUR brutto und einem Kilometerstand von 20 km. Das Fahrzeug verfügt über einen von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 288 mit einem SCR-Katalysator und unterfällt der Abgasnorm Euro 6.
In dem Fahrzeug kommt eine Abgasrückführung zur Anwendung, die sich mindernd auf die Stickoxidemissionen auswirkt, jedoch außerhalb eines bestimmten Außentemperaturbereichs abgeschaltet beziehungsweise reduziert wird (sogenanntes Thermofenster).
In der Software des Motorsteuerungsgeräts war zum Zeitpunkt des Erwerbs eine sogenannte Fahrkurvenerkennung in Bezug auf den Prüfstand (NEFZ) implementiert, die bewirkt, dass die AGR-Rate im NEFZ auch nach Erreichen der vollen Wirksamkeit des SCR-Katalysators hochgehalten wird.
Für das streitgegenständliche Fahrzeug existiert lediglich ein Rückruf des Kraftfahrtbundesamts (KBA) wegen einer Konformitätsabweichung im Zusammenhang mit der Regeneration des Dieselpartikelfilters, nicht jedoch wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
Am 03.11.2023 betrug die Laufleistung des Fahrzeugs 77.815 km.
2. Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 28.069,71 EUR (Kaufpreis abzüglich Nutzungsentschädigung) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, abzüglich einer im Termin zur mündlichen Verhandlung zu beziffernden weiteren Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen. Daneben begehrt die Klägerin die Feststellung des Annahmeverzugs und die Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.375,88 EUR.
Die Klagepartei behauptet, im streitgegenständlichen Motor seien unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut, welche die Wirkung von Emissionskontrollsystemen manipulierend verringerten und eine auf den Prüfstand ausgerichtete Programmierung aufwiesen, die die Prüfstandsituation erkenne und mittels Schalterfunktion eine vom realen Fahrbetrieb abweichende Emissionsverringerung starte.
3. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 14.09.2022 abgewiesen. Die Voraussetzungen der geltend gemachten deliktischen Anspruchsgrundlagen, §§ 826, 831, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB bzw. §§ 6, 27 EG-FGV, seien nicht gegeben. Die Klagepartei habe bereits das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht substantiiert dargelegt.
4. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung. In der Hauptsache verfolgt sie den sog. großen Schadensersatz wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung weiter, hilfsweise begehrt sie den Differenzschadensersatz. Die Berufung rügt sowohl die fehlerhaften tatsächlichen Feststellungen erster Instanz als auch fehlerhafte rechtliche Bewertungen. Das Landgericht überspanne die Substantiierungsanforderungen, habe die angebotenen Beweise fehlerhaft nicht erhoben und klägerischen Sachvortrag kommentarlos übergangen. Das streitgegenständliche Fahrzeug weise eine Prüfzykluserkennung auf, die wie bei der Umschaltlogik des EA 189 auch das Zusammenspiel von AGR-Rate und SCR-Einsatz so steuere, dass die Grenzwerte nur auf den Prüfstand eingehalten werden.
Auf eine sogenannte Grenzwert...