Leitsatz (amtlich)
Ein Handelsvertreter ist zur fristlosen Kündigung des Handelsvertretervertrages aus wichtigem Grund berechtigt, wenn der Unternehmer nach einer ordentlichen Kündigung des Handelsvertreters diesem den Zugang zum Online-System sperrt und so dem Handelsvertreter die weitere Tätigkeit bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar erschwert. Die fristlose Kündigung setzt eine vorherige Abmahnung des Unternehmers voraus.
Verfahrensgang
LG Landshut (Urteil vom 24.04.2013; Aktenzeichen 1 HK O 3168/12) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Landshut vom 24.4.2013 - 1 HK O 3168/12, wie folgt abgeändert: Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der sich aus der mit Schreiben vom 19.4.2012 ausgesprochenen Kündigung der Beklagten ergibt.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtstreits tragen die Klägerin 7/10, die Beklagte 3/10.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit verschiedener außerordentlicher Kündigungen.
Die Beklagte war seit 2002 als Handelsvertreterin mit der Bezeichnung "Vermögensberater" für die Klägerin tätig, zuletzt auf der Stufe einer Regionalgeschäftsleiterin aufgrund des Agenturvertrages vom 29.05./6.7.2007. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Anlage 1.
Die Beklagte kündigte den Vertrag mit Schreiben vom 29.3.2012 "zum nächstmöglichen Termin" (Anlage 2). Nach Eingang der Kündigung teilte die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 5.4.2012 (Anlage B 4) mit, anlässlich der Kündigung durch die Beklagte habe die Klägerin den Systemzugang (Token) der Beklagten mit sofortiger Wirkung mit einer Sperre belegt. Zudem erhöhte die Klägerin den Stornoreservesatz von 10 % auf 100 %. Nach einer Abmahnung der Beklagten mit Schreiben vom 4.4.2012 (Analge B 3) wurde der Stornoreservesatz auf 10 % zurückgestellt.
Mit Schreiben vom 19.4.2012 (Anlage 3) erklärte die Beklagte die fristlose Kündigung des Vertragsverhältnisses, da die Sperrung des DVAG-Online-Systemzugangs einen schwerwiegenden Vertrauensbruch darstelle. Eine weitere fristlose Kündigung sprach der Beklagtenvertreter im Schriftsatz vom 28.1.2013 (Bl. 32 d.A.) aus.
Nach dem 19.4.2012 schloss die Beklagte einen "Tippgebervertrag" mit der F. P. AG.
Die Klägerin ist der Ansicht, das Vertragsverhältnis bestehe bis zum 30.9.2014 fort, da die fristlosen Kündigungen der Beklagten unwirksam seien. Insbesondere hätte die Beklagte vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung vom 19.4.2012 die Klägerin abmahnen müssen.
Die Klägerin hat daher beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer festzusetzenden Ordnungshaft bis zu einer Dauer von sechs Monaten, vor Ablauf des 30.9.2014 zu unterlassen, für andere Unternehmen als die Klägerin im Finanzdienstleistungsbereich eine Vermittlungs- oder Verkaufstätigkeit auszuüben;
2. festzustellen, dass die von der Beklagten mit Schreiben vom 19.4.2012 ausgesprochene Kündigung des Vertragsverhältnisses dieses nicht vor Ablauf des 30.9.2014 beendet hat und die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der sich aus der mit diesem Schreiben ausgesprochenen Kündigung und der damit verbundenen Tätigkeitseinstellung ergibt.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, sie habe das Vertragsverhältnis auch mit Schreiben vom 26.04. und vom 27.4.2012 außerordentlich gekündigt, die Schreiben seien der Klägerin zugegangen. Im Übrigen ist sie der Ansicht, einer Abmahnung vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung vom 19.4.2012 habe es nicht bedurft. Jedenfalls habe die ordentliche Kündigung das Vertragsverhältnis bereits zum 30.6.2013 beendet.
Das LG, auf dessen tatsächliche Feststellungen nach § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 19.4.2012 sei wirksam, da das Vertrauenverhältnis zwischen den Parteien durch das Verhalten der Klägerin zerstört gewesen sei.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie rügt, das LG sei unzutreffend davon ausgegangen, es habe eine Sperrung des EDV-Zugangs und des E-Mail-Accounts gegeben. Tatsächlich seien nur 15 - 20 % der nutzbaren Funktionen nicht mehr zur Verfügung gestanden, u.a. die Synchronisierung mit mobilen Endgeräten. Falsch sei die Annahme des LG, die Beklagte habe im Rahmen von Vermittlungsgesprächen keine unmittelbaren Auskünfte mehr erteilen können. In jedem Fall hätte es nach Ansicht der Klägerin einer vorherigen Abmahnung bedurft.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Urteils des LG Landshut
1. die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zur Höh...