Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfall, Berufung, Betriebsgefahr, Aufhebung, Fahrzeug, Einstandspflicht, Haftung, Zahlung, Klage, Ausgleichsanspruch, Schaden, Gefahr, Rechtsauffassung, AKB
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 27.04.2021; Aktenzeichen 12 O 16385/20) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 27.04.2021, Az. 12 O 16385/20, abgeändert. Das Versäumnisurteil des Landgerichts vom 01.02.2021 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten ihrer Säumnis im ersten Rechtszug. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 16.800,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin ist Kraftfahrthaftpflichtversicherer des Speditionsunternehmers M. L. (fortan: Versicherungsnehmer), die Beklagte dessen Betriebshaftpflichtversicherer. Der Versicherungsnehmer war beauftragt, am 10. November 2017 mit einem Silofahrzeug eine Ladung Weißfeinkalk auszuliefern. Aufgrund eines Fehlers des Fahrers, der die falsche Lieferanschrift anfuhr, befüllte dieser ein Streusalzsilo mit 27,14 t Weißfeinkalk, wodurch die darin befindlichen 78,21 t Streusalz unbrauchbar wurden. Auf die Schadensersatzforderung der Geschädigten verauslagte die Klägerin für den Versicherungsnehmer 16.800 EUR.
Die Klägerin hat von der Beklagten die Zahlung dieses Betrags verlangt. Das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, hat der Klage durch aufrechterhaltenes Versäumnisurteil stattgegeben. Mit der Berufung erstrebt die Beklagte die Aufhebung des Versäumnisurteils und die Abweisung der Klage. Der Senat hat mit Beschluss vom 20. Dezember 2022 auf seine Rechtsauffassung hingewiesen.
II. Die zulässige Berufung der Beklagten führt zur Abänderung des angefochtenen Endurteils und zur Abweisung der Klage unter Aufhebung des Versäumnisurteils (§ 343 Satz 2, § 538 Abs. 1 ZPO). Der Klägerin steht kein Ausgleichsanspruch zu, weil sie selbst einstandspflichtig ist.
1. Das Landgericht hat ausgeführt, die Klägerin sei aktivlegitimiert. Der Erstattungsanspruch des gemeinsamen Versicherungsnehmers sei gemäß § 86 VVG auf sie übergegangen. §§ 77, 78 VVG seien nicht anwendbar, weil der Versicherungsnehmer nur gegen einen der Versicherer einen Anspruch habe.
Einstandspflichtig sei die Beklagte. Diese könne sich nicht auf A.1.1.1 Satz 2 AKB berufen. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung sei der Unfall nicht "bei dem Betrieb" des Kraftfahrzeugs entstanden. Der Unfall beruhe nicht auf einem Fehler bei der Bedienung des Kfz, sondern auf der fehlerhaften Entscheidung des Fahrers, die falsche Adresse anzufahren, die mit einem Betriebsvorgang des Kfz nichts zu tun habe. Der eigentliche Entladevorgang sei lediglich die Folge dieser Fehleinschätzung gewesen.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Begründung des Landgerichts stellt darauf ab, ob der Schaden "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeug im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG entstanden ist. Richtigerweise kommt es darauf an, ob der Schaden "durch den Gebrauch" eines Kraftfahrzeugs im Sinne der jeweiligen Versicherungsbedingungen (vgl. Berufungsbegründung, S. 3) verursacht worden ist. Die Begriffe decken sich nicht vollständig. Der hier regressierte Schaden ist "durch den Gebrauch" eines Kraftfahrzeugs entstanden.
a) Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Schaden, der durch die Betätigung der Beladungseinrichtung und Entladungseinrichtung eines Sonderfahrzeuges verursacht worden ist, dem "Gebrauch des Fahrzeuges" im Sinne von § 10 AKB aF zuzurechnen ist (BGH, Urteil vom 26. Juni 1979 - VI ZR 122/78, BGHZ 75, 45, juris Rn. 32 f). Dem steht nicht entgegen, dass eine Haftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG entfällt, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeuges keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird, oder bei Schäden, in denen sich eine Gefahr aus einem gegenüber der Betriebsgefahr eigenständigen Gefahrenkreis verwirklicht hat (vgl. BGH, Urteil vom 21. September 2021 - VI ZR 726/20, NJW 2022, 624 Rn. 6 f mwN).
Denn der Begriff des Gebrauches schließt den Betrieb des Kraftfahrzeuges im Sinne des § 7 StVG ein, geht aber auch darüber hinaus. Bei der Frage, ob der Entladevorgang noch dem Betrieb des Kraftfahrzeuges im Sinne des § 7 StVG zuzurechnen ist, geht es darum, ob nach dem von dieser Norm umfassten Schutzbereich, der wesentlich auf die Gefahren des Kraftfahrzeuges beim Verkehr abstellt, noch ein rechtlich relevanter Zusammenhang mit der Funktion des Kraftfahrzeuges als Beförderungsmittel besteht. Demgegenüber muss sich die Abgrenzung des versicherungsmäßig abgedeckten Wagnisses in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung nach anderen Gesichtspunkten orientieren. Bei ihr ist das Interesse versichert, das der Versicherte daran hat, durch den Gebrauch des Fahrzeuges nicht mit Haftpflichtansprüc...