Leitsatz (amtlich)
1) Ein verdeckter Mangel i.S. des § 377 Abs. 3 HGB liegt auch dann vor, wenn - obwohl geboten - keine Stichproben der gelieferten Waren genommen wurden, aber auch bei der Entnahme einer Stichprobe der Mangel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht entdeckt worden wäre.
2) Die Mängelrüge nach § 377 Abs. 1 und Abs. 3 HGB bedarf keiner bestimmten Form. Soweit § 12 Ziff. 2 der Tegernseer Gebräuche eine schriftliche Mängelrüge fordert, liegt darin eine zulässige Verschärfung der Anforderungen an die Wirksamkeit der Mängelrüge im Interesse der Sicherheit und Klarheit im kaufmännischen Verkehr.
Verfahrensgang
LG Ingolstadt (Urteil vom 12.12.2014; Aktenzeichen 1 HK O 86/12) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des LG Ingolstadt vom 12.12.2014, Az. 1 HK O 86/12, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des LG Ingolstadt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus diesen Urteilen vollstreckbaren Betrages, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zahlung des Restkaufpreises für die Lieferung von Buche-Multiplexplatten.
Die Beklagte bestellte bei der Klägerin am 03.05.2011 Buche-Multiplexplatten. Mit Schreiben vom 20.05.2011 (Anlage A 1) bestätigte die Klägerin die Bestellung der Beklagten.
Zudem bestellte die Beklagte die Lieferung von weiteren 17 Buche-Multiplexplatten bei der Klägerin.
Die Buche-Muliplexplatten der ersten Bestellung wurden von der Klägerin am 20.07.2011 und am 25.07.2011 direkt an den Endkunden der Beklagten, die Firma E. Küchen Studio in M., geliefert. Hierfür stellte die Klägerin der Beklagten eine Rechnung vom 26.07.2011 über 114.720,45 Euro brutto. Die weiteren 17 Buche-Multiplexplatten wurden am 27.10.2011 geliefert. Die Beklagte forderte hierfür mit Rechnung vom 31.10.2011 (Anlage A 5) 3.826,34 Euro brutto.
Auf die Rechnung vom 26.07.2011 zahlte die Beklagte vorprozessual 38.240,00 Euro. Weitere Zahlungen leistete sie vor Klageerhebung nicht.
Mit Schreiben vom 16.08.2011 (Anlage B 4) beanstandete die Beklagte gegenüber der Klägerin, an einigen Platten sei der Belag rau und klebrig und es seien Schlieren zu sehen, die Farbe der Platten sei heller, Fußabdrücke seien sofort zu sehen und nicht mehr einfach zu entfernen. Die Multiplex-Platten waren zu diesem Zeitpunkt zumindest teilweise bereits beim Endkunden der Beklagten in M. verlegt. Am 22.09.2011 fand eine gemeinsame Besichtigung der Platten in M. mit Vertretern der Klägerin und der Beklagten statt. Hierüber wurde vom Zeugen W., damals einem Mitarbeiter der Beklagten, das als Anlage B 6 vorgelegte Protokoll gefertigt.
Die Klägerin behauptet, die Platten seien bei Lieferung mangelfrei gewesen. Jedenfalls habe die Beklagte die Platten nicht ordnungsgemäß untersucht und die Mängel nicht rechtzeitig gerügt, da es sich um offenkundige Mängel handle. Zudem ist die Klägerin der Ansicht, außer § 377 HGB sei § 12 der Tegernseer Gebräuche einschlägig.
Während des laufenden Verfahrens in erster Instanz hat die Beklagte weitere 35.219,16 Euro an die Klägerin gezahlt; in dieser Höhe haben die Parteien das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt.
Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 45.087,63 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 80.306,79 Euro in der Zeit von 16.11.2011 bis 07.05.2014 und aus 45.219,16 Euro seit dem 08.05.2014 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.680,10 Euro vorgerichtliche, anrechenbare Rechtsanwaltsgebühren zu bezahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, die von der Klägerin gelieferten Platten hätten Mängel aufgewiesen. Ein Teil der Platten sei heller als bestellt. Der Belag sei teilweise rau und klebrig gewesen. Fußabdrücke seien sofort zu sehen gewesen und nicht mehr zu entfernen. Nut und Feder hätten zuviel Spiel, so dass sich die angrenzenden Platten zueinander verschieben könnten. Teilweise habe die Fase gefehlt oder sei auf der falschen Seite gewesen.
Bei Anlieferung der Platten beim Endkunden sei eine visuelle stichprobenartige Besichtigung durchgeführt worden. Die Mängel seien dabei nicht festgestellt worden. Mithin handle es sich um versteckte Mängel, die Mängelrüge sei mithin rechtzeitig.
Außerdem habe die Klägerin bei der gemeinsamen Besichtigung am 22.09.2011 in M. zugesagt, eine Nachbesserung durchzuführen. Die Klägerin könne sich daher nicht auf die Genehmigungsfiktion des § 377 HGB berufen. Die Tegernseer Gebräuche seien schon nicht wirksam einbezogen.
Das LG, auf dessen tatsächliche Feststellungen nach § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat der Klage ...