Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des GmbH-Geschäftsführers nach Eintritt der Insolvenzreife
Leitsatz (amtlich)
1. Die in Art. 3 Abs. 1 EGV Nr. 1346/2000 erfolgte Regelung der internationalen Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedsstaats, in dem das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft eröffnet wurde, gilt auch für Klagen des Insolvenzverwalters der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer auf Rückzahlung von Beträgen, die nach Eintritt der Insolvenzreife geleistet wurden (Anschluss EuGH BeckRS 2014, 82509).
2. Eine Zahlung i.S.v. § 64 Abs. 1 GmbHG liegt auch vor, wenn der Geschäftsführer nicht verhindert, dass ein Dritter auf ein debitorisches Konto der Gesellschaft einzahlt (Anschluss BGH BeckRS 2016, 09241).
3. Wenn die Verzögerung der Zustellung allein durch den gerichtlichen Betrieb verursacht wurde und dem Kläger nicht zuzurechnen ist, kann eine Zustellung auch dann noch "demnächst" i.S.v. § 167 ZPO sein, wenn sie mehr als 3 Jahre nach Eintritt der Verjährung erfolgt ist.
4. Der Schadensersatzanspruch gegen Geschäftsführer einer GmbH aus § 43 Abs. 2 GmbHG umfasst nicht den Schaden, der dadurch entstanden ist, dass sich die Überschuldung in Folge einer verspäteten Insolvenzantragsstellung vertieft hat (entgegen BGH BeckRS 2013, 11310)
Normenkette
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 1; EGV Nr. 1346/2000 Art. 3 Abs. 1; GmbHG § 43 Abs. 2, § 64 S. 1; ZPO §§ 167, 185
Verfahrensgang
LG Traunstein (Urteil vom 21.07.2017; Aktenzeichen 2 HK O 1623/13) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 21.07.2017, Az. 2 HK O 1623/13, abgeändert wird folgt:
Das Versäumnisurteil des Landgerichts Traunstein vom 18.02.2016 wird aufgehoben, soweit der Beklagte zur Zahlung von mehr als 440.323,20 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.03.2019 verurteilt wurde. Die Klage wird insoweit abgewiesen.
Dem Beklagten wird vorbehalten, nach Erstattung des Verurteilungsbetrages an die Masse seine Gegenansprüche, die sich nach Rang und Höhe mit den Beträgen decken, welche die durch die verbotswidrigen Zahlungen begünstigten Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten, gegen den Kläger als Insolvenzverwalter zu verfolgen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 10%, der Beklagte 90%. Von den Kosten der Nebenintervention trägt der Kläger 10%, die Nebenintervenientin 90%.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger macht als Insolvenzverwalter über das Vermögen der ESB S. GmbH Ansprüche gegen den Beklagten als früheren Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin geltend.
Das Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss vom 01.09.2011 eröffnet.
Der Kläger behauptet, die Insolvenzschuldnerin sei seit 2010 zahlungsunfähig und spätestens seit 31.12.2010 überschuldet gewesen. Der Beklagte habe als Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin Zahlungen an die Fa. PKE O. im Zeitraum vom 10.06.2011 bis 27.06.2011 in Höhe von insgesamt 36.500,00 Euro, an weitere diverse Gläubiger im Zeitraum vom 21.04.2011 bis 06.05.2011 in Höhe von insgesamt 71.712,51 Euro, an die ESB S. O. im Zeitraum von 20.10.2010 bis 20.04.2011 in Höhe von insgesamt 209.900,00 Euro geleistet. Des weiteren habe der Beklagte Zahlungseingänge mit dem Sollsaldo des Geschäftskontos der Insolvenzschuldnerin im Zeitraum vom 23.03.2011 bis 31.05.2011 in Höhe von insgesamt 122.210,69 Euro verrechnet. Im Umfang der geleisteten bzw. verrechneten Zahlungen bestehe ein Anspruch gegen den Beklagten aus § 64 GmbHG.
Zudem habe der Beklagte für die Insolvenzschuldnerin im Jahr 2011 neue Verbindlichkeiten in Höhe von 44.187,72 Euro begründet. Der Beklagte hafte in dieser Höhe nach § 43 Abs. 2 GmbHG wegen Vertiefung der Insolvenz.
Das Landgericht Traunstein hat den Beklagten mit Versäumnisurteil vom 18.02.2016 zur Zahlung von 484.510,92 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.10.2014 verurteilt. Nachdem die Nebenintervenientin hiergegen Einspruch eingelegt hat, hat der Kläger zuletzt beantragt,
das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.
Die Nebenintervenientin hat zuletzt beantragt,
unter Aufhebung des Versäumnisurteils die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Nebenintervenientin ist der Ansicht, die Klage sei dem Beklagten nicht wirksam zugestellt worden. Die Forderungen gegen den Beklagten seien verjährt.
Das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen nach § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Versäumnisurteil aufrechterhalten und damit der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Der Beklagte habe sich auf die wirksam erhobene und schlüssige Klage nicht eingelassen. Die Ansprüche des Klägers bestünd...