Entscheidungsstichwort (Thema)
Dringlichkeitsvermutung, Fristverlängerungsantrag, Terminsverlegungsantrag, einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, Einstweilige Verfügung, Prozeßbevollmächtigter, Antragsgegner, Verspätetes Vorbringen, Hauptsacheverfahren, Einstweiliger Rechtsschutz, Verzögerung des Verfahrens, Verfügungsgrund, Teilanerkenntnis, Antrag auf Erlaß, Verfahrensdauer, Verfahrensverzögerung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Termin zur mündlichen Verhandlung, Besondere Dringlichkeit, Selbstwiderlegung
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 03.07.2023; Aktenzeichen 4 HK O 5375/23) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Teilanerkenntnis- und Endurteil des Landgerichts München I vom 03.07.2023, Az. 4 HK O 5375/23, berichtigt durch Beschluss vom 14.07.2023, in dessen Ziffern 1. c) und 2. abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. c) Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen die Antragstellerin 2/3, die Antragsgegnerin 1/3.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Gründe
I. Die Parteien streiten im Rahmen eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung um lauterkeitsrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit den Vorgaben der europäischen Kosmetikverordnung (VO (EG) Nr. 1223/2009) für Nagellack.
Die Antragstellerin hat erstinstanzlich zunächst beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung, die der besonderen Dringlichkeit wegen ohne vorausgehende mündliche Verhandlung und durch den Vorsitzenden allein anstelle des Prozessgerichts angeordnet werden soll, aufzugeben, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000,00, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre), zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr in der Bundesrepublik Deutschland
a) folgende UV-Nagellackprodukte der Reihe NEONAIL
- NEONAIL Soft Base
- NEONAIL Soft Top
- NEONAIL Color Coat - Friday Heels 7774-7
- NEONAIL Color Coat - Miss Power 9391-7
- NEONAIL Color Coat - Moonlight Flower 7107-7
unter Verwendung der Aussage
"HEMA free"
zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, wenn dies geschieht wie nachstehend wiedergegeben
((Abbildung))
wenn die Produkte den Inhaltsstoff
2-Hydroxyethyl Methacrylat (HEMA)
und/oder den Inhaltsstoff
Di-HEMA-Trimethylhexyldicarbamat (Di-HEMA-TMHDC)
Beinhalten
und/oder
b) UV-Nagellackprodukte generell als "HEMA free" und/oder "HEMA-frei" zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, selbst wenn die beworbenen Nagellacke an sich kein HEMA enthalten, jedoch nur in Kombination mit einer HEMA-haltigen Grundierung (sog. Base) und/oder einer HEMA-haltigen Versiegelung (sog. Top) verwendet werden können
und/oder
c) die Nagellackprodukte "Soft Base" und "Soft Top" ohne unverwischbare, leicht lesbare und deutlich sichtbare Liste der Bestandteile auf dem Behältnis oder der Verpackung auf dem Markt bereitzustellen, wenn dies geschieht wie nachfolgend wiedergegeben
((Abbildungen))
Das Landgericht hat nach Rücknahme des Antrags 1. b) durch die Antragstellerin sowie nach einem Anerkenntnis des Antrags 1. a) durch die Antragsgegnerin die Anträge 1. a) und 1. c) durch Teilanerkenntnis- und Endurteil vom 03.07.2023, Az. 4 HK O 5375/23, berichtigt durch Beschluss vom 14.07.2023, auf deren tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, wie beantragt zugesprochen.
Die Antragsgegnerin greift das Urteil mit ihrer Berufung im Hinblick auf den streitig gebliebenen Antrag 1. c) an.
Die Antragsgegnerin beantragt:
Unter teilweiser Aufhebung des Urteils des LG München I vom 03.07.2023, Az. 4 HK O 5375/23, wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hinsichtlich des Antrages zu 1 c) zurückgewiesen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird von einem Tatbestand nach §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO abgesehen.
II. Die Berufung der Antragsgegnerin ist zulässig und begründet.
1. Die Berufung ist begründet, weil es an dem für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Verfügungsgrund fehlt, da die Antragstellerin durch ihr Verhalten zu erkennen gegeben hat, dass sie nicht derart dringlich auf die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz angewiesen ist, dass es ihr nicht zuzumuten wäre, auf ein Hauptsacheverfahren verwiesen zu werden. Infolgedessen ist die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG als entkräftet anzusehen.
a) Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG kann auch noch während des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung widerlegt werden. Dringlichkeitsschädliche Auswirkungen auf den Verfügungsgrund entfalten nämlich nicht nur Verhaltensweisen vor Antragstellung, sondern auch solche während des bereits anhängigen Verfahrens (vgl. BVerfG BeckRS 1998, 14710 Rn. 4). So wirkt sich das zögerliche Betreiben des ...