Leitsatz (amtlich)
Im Fall der Tierhalterhaftung nach § 833 Satz 1 BGB ist § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB auch dann anwendbar, wenn sich nur bei einem Tier die Tiergefahr konkret schadensverursachend verwirklicht hat, es sich aber nicht mehr feststellen lässt, bei welchem von mehreren, verschiedenen Haltern zuzuordnenden Tieren. Dies gilt jedenfalls, wenn dieses Tier zu einer gemeinsamen Herde von Tieren verschiedener Halter gehört, die sich in einem gemeinsamen Pferch befindet oder anderweitig einer einheitlichen und gemeinsamen Überwachung unterliegt.
Verfahrensgang
LG Kempten (Urteil vom 30.05.2011; Aktenzeichen 61 O 188/11) |
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des LG Kempten (Allgäu) vom 30.5.2011 - 61 O 188/11, wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziff. 1 genannte Urteil des LG Kempten (Allgäu) ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche ihres Mitglieds Rupert K. geltend, die kraft Gesetzes auf sie übergegangen sind.
In einem mit einem Elektrozaun versehenen Pferch des Beklagten befanden sich acht Schafe, von denen sechs dem Beklagten und zwei einem Herrn L. gehörten. Drei der Schafe, die zwei des Herrn L. und ein Schafbock des Klägers, waren schwarz. Der Zeuge K. wurde in der Nähe des Pferchs am 20.9.2009 von einem schwarzen Tier von hinten angegriffen und umgestoßen. Dabei verletzte er sich erheblich. Die Klägerin musste Behandlungskosten in Höhe der Klageforderung bezahlen. Da die Verletzungen noch nicht ausgeheilt sind, ist mit weiteren Behandlungskosten zu rechnen.
Der Kläger behauptet, dass der Angriff von einem der drei schwarzen Schafe aus dem Pferch ausgegangen sei. Dieses Tier sei danach auch wieder zu den anderen sieben Schafen in den Pferch zurückgekehrt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Die Klägerin stellte erstinstanzlich folgende Anträge:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 13.181,81 EUR zu bezahlen nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 8.373,66 EUR seit 3.11.2009 und aus 4.808,15 EUR seit 15.9.2010.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die Aufwendungen zu ersetzen, die sie gegenüber ihrem Mitglied Herrn Rupert K., geb. am 8.3.1948, wohnhaft in M., aufgrund des Vorfalls vom 20.9.2009 in M. erbringen muss, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte, insbesondere Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
3. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 899,40 EUR zu bezahlen nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 1.12.2010.
Das LG hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Es war nach der Vernehmung des Zeugen K. davon überzeugt, dass dieser durch eines der drei schwarzen Schafe aus dem Pferch angegriffen und verletzt worden war. Es sei zwar nicht mehr zu klären, welches der schwarzen Tiere konkret den Pferch verlassen habe. Darauf komme es aber nicht an, weil der Kläger nach §§ 833, 830 Abs. 1 Satz 2 BGB als Tierhalter auch dann hafte, wenn eine genaue Zurechnung nicht mehr möglich sei.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der seinen erstinstanzlichen Antrag auf Klagabweisung weiter verfolgt.
Er ist der Auffassung, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung § 830 BGB im Falle der Tierhalterhaftung nur dann anwendbar sei, wenn mehrere Tiere verschiedener Halter den haftungsbegründenden Angriff ausführten, nicht aber, wenn nur ein einziges Tier - wie hier - als Angreifer in Betracht komme. Die Tatsache, dass mehrere Halter ihre Tiere in einem gemeinsamen Pferch untergebracht hätten, reiche nicht aus, um eine Gefahrgemeinschaft nach § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB zu begründen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Sie hält § 830 BGB hier für anwendbar und ist im Übrigen der Meinung, dass der Beklagte auch Halter der im Eigentum L. stehenden Tiere sei.
Hilfsweise bestreitet sie nach entsprechendem richterlichem Hinweis zu § 834 BGB, dass sich der Pferch unmittelbar vor dem Vorfall vom 20.9.2009 in einem ordnungsgemäßen Zustand befunden habe und, dass der Beklagte seinen diesbezüglichen Kontrollpflichten nachgekommen sei.
Der Senat hat keine weitere Beweisaufnahme durchgeführt.
II. Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das LG hat den Beklagten zu Recht zum Schadensersatz in dem beantragten Umfang verurteilt.
1. Die Feststellung des LG, dass der Zeuge K. von einem der drei schwarzen Schafe aus dem Pferch angegriffen wurde, begegnet keinen rec...