Leitsatz (amtlich)

Beherrscht eine Taxigenossenschaft den Markt für die Vermittlung von Beförderungsaufträgen an Taxifahrer, so kann es die negative Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG verletzen und gegen § 20 Abs. 1 GWB a.F. verstoßen, wenn sie den Zugang zu ihrem Telefonrufsäulensystem nur Mitgliedern einräumt und so Nachfrager zwingt, Mitglied bei ihr zu werden.

 

Normenkette

GG Art. 9 Abs. 1; GWB a.F. § 20 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 12.07.2005; Aktenzeichen 33 O 22863/04)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 08.05.2007; Aktenzeichen KZR 9/06)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG München I vom 12.7.2005 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.000 EUR Zug um Zug gegen Ausscheiden des Klägers aus der Beklagten zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG München I vom 12.7.2005 zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Gegenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 115 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

V. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten darum, ob eine Taxigenossenschaft den Zugang eines Taxiunternehmers zu einem von ihr marktbeherrschend betriebenen Auftragsvermittlungssystem davon abhängig machen darf, dass der Unternehmer ihr beitritt und einen bei Austritt nicht rückzahlbaren Beitrag erbringt.

Die Beklagte ist eine Genossenschaft von Taxiunternehmern in München. Sie ist eine der ältesten und größten solcher Genossenschaften in Deutschland. Sie hat etwa 2.000 Mitglieder mit etwa 3.200 Fahrzeugen bei insgesamt etwa 3.400 in München vergebenen Taxikonzessionen.

Ihre Satzung (vgl. Anlage K 5) enthält u.a. folgende Regelungen:

§ 3

(1) Die Mitgliedschaft können erwerben:

Natürliche und juristische Personen, die mindestens eine Genehmigung zum Taxiverkehr in München besitzen [...].

Aufnahmefähig ist nur, wer nicht bereits Mitglied bzw. Gesellschafter in einer anderen, ähnliche Zwecke verfolgenden Genossenschaft oder Vereinigung oder Gesellschaft, sofern hierdurch die Belange der Genossenschaft oder die ihrer Mitglieder schwerwiegend geschädigt werden oder die Funktionsfähigkeit der Genossenschaft berührt wird. Soweit eine Mitgliedschaft nicht möglich ist, wird der Vorstand nach Zustimmung des Aufsichtsrats ermächtigt, Anschlussverträge abzuschließen. [...]

§ 7

Jedes Mitglied der Genossenschaft hat das Recht: [...]

3. die Einrichtungen der Genossenschaft nach Maßgabe der dafür getroffenen Bestimmungen - soweit es die vorhandenen Mittel zulassen - zu benutzen. [...] Vorstand und Aufsichtsrat setzen die Bedingungen fest, unter denen Nichtmitglieder an den genossenschaftlichen Einrichtungen teilnehmen können (Anschlussvertrag); [...]

§ 8

(1) Jedes Mitglied der Genossenschaft hat die Pflicht:

1. den Bestimmungen der Satzung und den Beschlüssen der Generalversammlung nachzukommen;

2. die Einzahlungen nach den Bestimmungen des § 35 der Satzung zu leisten;

3. für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft nach Maßgabe des Gesetzes bis zu dem Betrag der satzungsgemäß bestimmten Haftungssumme zu haften;

4. jede Änderung der Rechtsform des Unternehmens der Genossenschaft unverzüglich innerhalb vier Wochen anzuzeigen;

5. die vo[n] Vorstand und Aufsichtsrat aufgestellten besonderen Betriebsordnungen (§ 49), die für die gewerbliche Personenbeförderung geltenden Bestimmungen (Taxiordnung, Standplatzbestimmungen) sowie die sonstigen Bekanntmachungen, Richtlinien und Weisungen zur Durchführung des ordnungsgemäßen Taxibetriebs zu beachten;

6. die von den hierfür zuständigen Organen der Genossenschaft gem. § 50 verhängten Vertragsstrafen zu entrichten bzw. zu befolgen. [...]

Die Beklagte betreibt neben einer Auftragsvermittlungszentrale ein System von etwa 120 Telefonrufsäulen, die an Taxistandplätzen aufgestellt sind. Ein Fahrgast, der telefonisch ein Taxi bestellen will, kann statt der Zentrale auch diese Rufsäulen anrufen; erhält er mit dem Standplatz keine Verbindung, weil kein Taxifahrer bereit steht, um die Anlage zu bedienen, so wird automatisch eine Verbindung mit der Zentrale hergestellt. Diese übermittelt den Auftrag per Funk an eines der teilnahmeberechtigten Taxis weiter.

Es gibt in München nur das Rufsäulensystem der Beklagten, weil die Landeshauptstadt München als Straßenbaubehörde anderen Interessenten die für die Rufsäulen erforderliche straßen- und wegerechtliche Sondernutzungserlaubnis unter Hinweis auf die vorhandenen Rufsäulen verweigert.

Die Beklagte vermittelt jährlich etwa 1,4 Mio. Aufträge per Funk und acht Mio. Aufträge über ihre Rufsäulen. 93 % der Münchener Taxiunternehmen nehmen die Vermittlungsleistungen der Beklagten in Anspruch. Es gibt aber auch Unternehmen, die sich auf reine Flughafenfahrten oder Festauftr...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge