Verfahrensgang
AG Bitterfeld-Wolfen (Entscheidung vom 25.01.2022; Aktenzeichen 2 OWi 405/21) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen vom 25. Januar 2022 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I.
Dem Betroffenen liegt zur Last, als Führer eines Pkw am 2. März 2021 um 17.00 Uhr in B., Z. Straße , Höhe Haus Nr. 17, das Fahrzeug unter der Wirkung berauschender Mittel geführt zu haben. Wegen dieses Vorwurfs erließ die zuständige Bußgeldbehörde am 13. Juli 2021 einen Bußgeldbescheid über eine Geldbuße von 500,00 Euro und verhängte ein Fahrverbot von einem Monat. Dagegen hatte der Betroffene rechtzeitig Einspruch eingelegt. Diesen hat das Amtsgericht mit dem angefochtenen Urteil verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit der er das Verfahren beanstandet und die Sachrüge erhebt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der formgerecht erhobenen Verfahrensrüge des Verstoßes gegen §§ 74 Abs. 2, 73 Abs. 2 OWiG Erfolg, §§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG Erfolg.
Die Rüge des Verstoßes gegen § 74 Abs. 2 OWiG, mithin das Gericht habe den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zu Unrecht verworfen, kann nur mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden. Eine solche ist hier erhoben, sie ist als Rüge des Verstoßes gegen das Recht des Betroffenen auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung und Verletzung des rechtlichen Gehörs auszulegen (Göhler/Seitz, OWiG, 18. Aufl., § 73 Rn. 16, 24; § 74 Rn. 48a ff.; § 80 Rn. 16b). Die Rüge ist ausreichend ausgeführt, da der Betroffene die Verfahrenstatsachen dafür, dass das Amtsgericht sein Ausbleiben nicht als unentschuldigt hätte ansehen dürfen, im Einzelnen so konkret dargelegt hat, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen zuträfe. Ohne Einblick in die Akten zu nehmen ist aufgrund der Benennung des Antrags auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen, der Beireichung der Vollmacht auf Rechtsanwalt F. und der Wiedergabe der tragenden Begründung des ablehnenden Beschlusses des Gerichts die Prüfung möglich, ob der Betroffene genügend entschuldigt war, weil das Gericht ihn hätte von der Pflicht zum Erscheinen entbinden müssen.
Die Rüge ist auch begründet, da die Voraussetzungen für die Verwerfung des Einspruchs ohne sachliche Überprüfung der Beschuldigung nicht vorlagen (vgl. dazu Göhler/Seitz a.a.O., § 74 Rn. 48 b).
Nach § 73 Abs. 2 OWiG hat das Gericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder wenn er erklärt hat, er werde sich in der Hauptverhandlung nicht "weiter" zur Sache äußern, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes nicht erforderlich ist. Die Entscheidung über den Entbindungsantrag steht hierbei nicht im Ermessen des Gerichtes, vielmehr ist es verpflichtet, dem Antrag nachzukommen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (vgl. Senat, Beschl. v. 25. August 2015, 2 Ws 163/15; OLG Bamberg, Beschl. v. 23.05.2017 - 3 Ss OWi 654/17, juris; OLG Bamberg vom 30.10.2007 - 2 Ss OWi 1409/07, juris Rn. 17 ff. m.w.N.).
Der Betroffene hat in dem Entbindungsantrag vom 24. Januar 2022 die Fahrereigenschaft eingeräumt und erklären lassen, dass er weitere Angaben zur Sache nicht machen wird (Bl. 94a d. A.). Die für einen wirksamen Entbindungsantrag erforderliche Vertretungsvollmacht für Rechtsanwalt F. hat vorgelegen (Bl. 94b, 111, 112 d. A.; BayObLG vom 03.02.2000 - 2 ObOWi 638/99, juris Rn. 16; Göhler/Seitz a.a.O., § 73 Rn. 4).
Die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung wäre für eine weitere Sachaufklärung allenfalls noch dann dienlich gewesen, wenn hierfür seine "bloße physische Präsenz" genügt hätte (vgl. OLG Bamberg a.a.O., Rn. 18). Dies ist hier nicht der Fall, das Gericht hätte dem Antrag auf Entbindung nachkommen müssen.
Ob der Tatrichter dieser Antrag bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung tatsächlich zur Kenntnis gelangt war, ist hierbei unerheblich (OLG Bamberg a.a.O., Rn. 20). Maßgeblich ist allein, dass nach Aktenlage der Antrag das Amtsgericht am 24. Januar 2022 um 18:51 Uhr erreicht hat und deshalb bei gehöriger gerichtsinterner Organisation ihm rechtzeitig zugeleitet hätte werden können.
Das Unterlassen der rechtzeitig und begründet beantragten Entbindung des Betroffenen von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung am 25. Januar 2022 durch das Amtsgericht war demnach rechtsfehlerhaft und sperrte die Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG (vgl. Senat, Beschl. v. 25. August 2015, 2 Ws 163/15, juris m.w.N.).