Leitsatz (amtlich)
Die Beauftragung eines Rechtsanwalts vor der Zustellung der Antragsschrift, gerichtet auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung, ist generell nicht erforderlich im Sinne des § 91 ZPO. Eine Verfahrensgebühr des Vertreters des Verfügungsbeklagten im Sinne von VV Nr. 3100 RVG ist unter diesen Umständen nicht verdient.
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Beschluss vom 02.06.2015; Aktenzeichen 5 O 4/15) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Halle vom 2.6.2015 aufgehoben und der Kostenerstattungsantrag vom 3.3.2015 zurückgewiesen.
Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 745,40 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Verfügungsklägerin hat per Faxschreiben am 14.1.2015 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Verfügungsbeklagte eingereicht. Nach Eingang und Vorlage des Originals der Antragsschrift hat das LG mit Verfügung vom 19.1.2015 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 10.2.2015 anberaumt. Die Ladung nebst Abschriften der Antragsschrift vom 14.1.2015 sind ausweislich Empfangsbekenntnis des in der Antragsschrift angegebenen Bevollmächtigten der Verfügungsbeklagten am 23.1.2015 zugestellt worden. Am 22.1.2015 um 11.48 Uhr ist bei dem LG Halle als Faxschreiben der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom gleichen Tage eingegangen, mit dem er den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgenommen hat. Am gleichen Tage um 11.58 Uhr ist bei dem Bevollmächtigten der Verfügungsbeklagten als Faxschreiben eine Abschrift des Rücknahmeschriftsatzes eingegangen. Mit einem vom 22.1.2015 datierenden und bei dem LG Halle am 26.1.2015 eingegangenen Schriftsatz hat der Bevollmächtigte der Verfügungsbeklagten deren Vertretung zu dem Geschäftszeichen 5 O 4/15 angezeigt und Akteneinsicht beantragt, "um einen Überblick über die Angelegenheit zu erhalten". Mit Schriftsatz vom 23.1.2015, bei dem LG ebenfalls eingegangen am 26.1.2015, hat der Bevollmächtigte der Verfügungsbeklagten beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu verwerfen, mitgeteilt, dass er Kenntnis von dem Termin am 10.2.2015 habe, und das Akteneinsichtsgesuch zurückgewiesen. Am 26.1.2015 hat das LG den Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben und auf den Antrag der Verfügungsbeklagten mit Beschluss vom 18.2.2015 der Verfügungsklägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
Der Bevollmächtigte der Verfügungsbeklagten hat mit Schriftsatz vom 3.3.2015 die Festsetzung einer 1,3 Verfahrensgebühr und einer 1,2 Terminsgebühr zuzüglich der Pauschale für Post- und Telekommunikation in Höhe von insgesamt 1.415,00 EUR beantragt. Das LG - Rechtspflegerin - hat mit Beschluss vom 2.6.2015 die auf Grund des rechtswirksamen Beschlusses des LG Halle vom 18.2.2015 von der Verfügungsklägerin an die Verfügungsbeklagte zu erstattenden Kosten auf 745,40 EUR nebst Zinsen festgesetzt, weil eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG in voller Höhe erstattungsfähig sei, und den Antrag im Übrigen zurückgewiesen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Das Verfahren sei vor Zustellung durch Rücknahme des Antrags beendet gewesen. Eine tatsächliche Beteiligung der Kostenantragstellerin im einstweiligen Verfügungsverfahren sei nicht erfolgt.
Das LG - Rechtspflegerin - hat der sofortigen Beschwerde durch Beschluss vom 3.7.2015 nicht abgeholfen und das Verfahren dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO). Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet. Die Rechtspflegerin hat unter den gegebenen Umständen zu Unrecht eine 1,3 Verfahrensgebühr gemäß den Nr. 3100 VV-RVG zu Gunsten der Verfügungsbeklagten festgesetzt.
Zwar ist grundsätzlich von der bestandskräftigen Kostengrundentscheidung des LG mit Beschluss vom 18.2.2015 auszugehen, wonach die Verfügungsklägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Dessen ungeachtet hat gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die unterliegende Partei oder im Falle der Antrags- oder Klagerücknahme der Antragsteller oder Kläger nur diejenigen dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung objektiv notwendig waren (z.B. BGH, MDR 2007, 1163).
Dies ist im vorliegenden Fall für eine Verfahrensgebühr zu verneinen. Zwar kann die Gebühr VV Nr. 3100 jedenfalls dann entstehen, wenn der Anwalt auf der Grundlage eines nach der Zustellung der gegnerischen Antragsschrift auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erteilten Prozessauftrags auf die Antragsschrift erwidert, ohne zu wissen oder wissen zu müssen, dass der Gegner den Antrag bereits zurückgenommen hat (z.B. OLG Hamm, FamRZ 2013, 1159; OLG Naumburg, JurBüro 2003, 419). Hier ist aber im Zeitpunkt der Rücknahme der einstweiligen Verfügung am 22.1.2015 bereits nicht einmal die Antragsschrift an die Verfügungsbeklagte zugestellt gewesen. ...