Leitsatz (amtlich)
1. Die Ungewissheit, ob sämtliche in Betracht kommende gesetzliche Erben der 2. Erbordnung die Erbschaft wirksam ausgeschlagen haben und ob für diesen Fall gesetzliche Erben der 3. Erbordnung ausfindig gemacht werden können, rechtfertigt die (erneute) Anordnung einer Nachlasspflegschaft.
2. Ein im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung einer übergeordneten Erbengemeinschaft, d.h. einer Erbengemeinschaft, an welcher der Erblasser als Miterbe beteiligt war, stehender Anspruch auf Mitwirkung an einer Teilungsversteigerung ist ein gegen den Nachlass gerichteter Anspruch i.S.v. § 1961 BGB.
Verfahrensgang
AG Dessau-Roßlau (Beschluss vom 18.08.2022; Aktenzeichen 8 VI 499/14) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten wird der Beschluss des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Dessau-Roßlau vom 18. August 2022 aufgehoben. Das Nachlassgericht wird angewiesen, eine Nachlasspflegschaft mit dem Wirkungskreis
"Mitwirkung an der Teilungsversteigerung der zum Nachlass des Herbert Siegfried W., geb. am ... . ... .1931 in B., verstorben am ... . ... .1999 in G., mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in G., gehörenden Miteigentumsanteils an einem Grundstück"
anzuordnen und hierfür einen Nachlasspfleger bzw. eine Nachlasspflegerin zu bestellen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben. Eine Auslagenerstattung findet nicht statt.
Gründe
A. Der Erblasser war geschieden und hinterließ keine letztwillige Verfügung. Seine beiden Töchter, Melanie W. und Juliane W., haben nach Kenntnis vom Anfall der Erbschaft seit dem 28.05.2014 diese zur Niederschrift des Nachlassgerichts am 24.06.2014 ausgeschlagen, Melanie W. zugleich und jeweils gemeinsam mit dem jeweiligen Kindsvater für ihre beiden minderjährigen Kinder Maria Medea W. und Elisabeth Pandora R..
Die Eltern des Erblassers sind vorverstorben. Der Erblasser hatte acht Geschwister. Seine Schwester Edith Petra A. geb. W. sowie deren Kinder und Kindeskinder haben die Erbschaft jeweils wirksam ausgeschlagen, deren Sohn Dirk A. hat im Rahmen seiner notariellen Ausschlagungserklärung nicht ausdrücklich angegeben, dass er selbst keine Nachkommen hat. Der Bruder des Erblassers Ralf-Peter Siegfried W. hat die Erbschaft wirksam ausgeschlagen. Der weitere Bruder Stefan W. sowie deren Tochter Maria haben die Erbschaft wirksam ausgeschlagen. Die weitere Schwester Karin M. geb. W. sowie deren Tochter Steffi M. und deren Sohn Paul M. haben die Erbschaft wirksam ausgeschlagen; Steffi M. auch für das damals erwartete Kind, jedoch ohne Angaben zum Kindsvater. Die weitere Schwester Kornelia N. geb. W. hat die Erbschaft ausgeschlagen; ihr Sohn ist vorverstorben. Die Schwester des Erblassers Kerstin W., deren Töchter Jule und Anne W. - diese auch jeweils für ihre Nachkommen und gemeinsam mit den jeweiligen Kindsvätern - haben die Erbschaft ausgeschlagen. Die weitere Tochter der Kerstin W., Kaja W., wurde mit Schreiben des Nachlassgerichts vom 22.07.2014 über den Anfall der Erbschaft informiert; dieses Schreiben wurde an die zu dieser Zeit gültige Meldeadresse (T. Weg 5 in G.) übersandt, Kaja W. bestreitet jedoch den Zugang. Sie hat mit notariell beurkundeter Erklärung vom 08.02.2021 erklärt, dass sie erst "im Januar 2021" von ihrer Mutter Kerstin W. vom Tode des Erblassers erfahren habe, und hat die Erbschaft ausgeschlagen. Hilfsweise hat sie die Anfechtung etwaig versäumter Ausschlagungsfristen erklärt. Die weitere Schwester des Erblassers Ines E. geb. W. sowie deren Kinder Katja und Robert E., letzterer mit gemeinsam mit seiner Ehefrau auch für seinen Sohn Ben Etienne E., haben jeweils die Ausschlagung der Erbschaft erklärt. Der weitere Bruder des Erblassers Mario W. hat - notariell beurkundet - die Erbausschlagung erklärt, ohne ausdrücklich anzugeben, dass er keine eigenen Nachkommen hat.
Mit Beschluss vom 24.06.2014 ordnete das Nachlassgericht für die damals unbekannten Erben des Erblassers eine Nachlasspflegschaft nach § 1961 BGB an und bestellte einen Nachlasspfleger mit dem Wirkungskreis Verwaltung und Abwicklung des Mietverhältnisses sowie Sicherung, Verwaltung und Abwicklung der Geschäftsverbindungen des Erblassers mit dem kontoführenden Kreditinstitut. Die Nachlasspflegschaft wurde mit Beschluss vom 18.11.2014 aufgehoben, nachdem die laufenden Nachlassverbindlichkeiten beglichen und das Restvermögen hinterlegt worden war.
Am 05.05.2020 hat die Beteiligte die (erneute) Einrichtung einer Nachlasspflegschaft beantragt, weil der Erblasser zugleich Mitglied einer ungeteilten Erbengemeinschaft nach Siegfried W., seinem Vater, mit einem Erbanteil zu 1/18 und diese Erbengemeinschaft Mit-eigentümerin eines zu veräußernden Grundstücks sei.
Das Nachlassgericht hat mit seinem Beschluss vom 18.08.2022 die Anordnung einer Nachlasspflegschaft abgelehnt. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass derzeit davon auszugehen sei, dass die Nichte des Erblassers Kaja W. Erbin geworden sei, weil sie die Erbschaft nicht rechtzeitig ausgeschlagen habe. Im Übrigen sei noch aufzuklären, ob Dirk A. ...