Leitsatz (amtlich)
1. Die Rechtsanwaltskammer muss, bevor sie die Zulassung eines Anwalts zur Rechtsanwaltschaft wegen Nichtunterhaltens der Berufshaftpflichtversicherung (§ 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO) widerruft, nicht die einmonatige Nachhaftungsfrist gem. § 158c Abs. 2 S. 2 VVG abwarten.
2. Der Widerrufsgrund des § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO ist erfüllt, wenn die Berufshaftpflichtversicherung des Anwalts nicht mehr besteht. Ob den vorläufigen Insolvenzverwalter, der für den Anwalt bestellt worden ist, ein Verschuldensvorwurf trifft, weil er eine Weiterzahlung der Haftpflichtversicherungsprämie abgelehnt hat, unterliegt hingegen nicht der Prüfungskompetenz der Rechtsanwaltskammer.
3. Der Widerrufsgrund des § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO ist nicht im Nachhinein zweifelsfrei wieder entfallen, wenn der Anwalt und das Versicherungsunternehmen darüber streiten, ob eine neue Berufshaftplichtversicherung wirksam begründet worden ist oder nicht.
Tenor
I. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
II. Die Gerichtskosten trägt der Antragsteller; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
III. Der Geschäftswert für das Hauptsacheverfahren (Az.: 1 AGH 20/03) wird auf 45.000 Euro, derjenige für das Eilverfahren (Az.: 1 AGH 21/03) wird auf 15.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsteller, geboren am 7.6.1955 in A., ist durch Verfügung des Ministerrats der DDR v. 4.9.1990 als Rechtsanwalt mit Sitz in Magdeburg zugelassen worden. Seit der Einführung der dem GVG entsprechenden Gerichtsstrukturen im Land Sachsen-Anhalt besteht die Zulassung des Antragstellers beim LG und beim AG Magdeburg fort. Er ist außerdem durch Verfügung v. 21.9.1995 als Rechtsanwalt beim OLG Naumburg zugelassen worden. Der Antragsteller unterhält seine Kanzlei unter der Anschrift St.-straße 5 in ... Magdeburg.
Die Antragsgegnerin, die Rechtsanwaltskammer des Landes Sachsen-Anhalt, widerrief mit Bescheid v. 25.3.2003 die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft gem. § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wegen Vermögensverfalls. Der hiergegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung blieb beim AnwGH ohne Erfolg (Az.: 1 AGH 7/03). Gegen dessen Beschluss v. 4.7.2003 legte der Antragsteller sofortige Beschwerde ein; das Beschwerdeverfahren ist beim BGH gegenwärtig unter dem Az.: AnwZ (B) 64/03 anhängig.
In dem Insolvenzantragsverfahren des Finanzamts Magdeburg gegen den Antragsteller (Az.: 351 IN 297/03) bestellte das AG Magdeburg am 1.10.2003 den Dipl.-Betriebswirt H.R. gem. § 21 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 InsO zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Außerdem ordnete das Insolvenzgericht in seinem Beschluss u.a. an, dass "Verfügungen des Antragsgegners (Anm.: Rechtsanwalt W.) gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind" (Nr. 2) und dass "dem Antragsgegner ... jegliche Verfügung über Bankkonten und damit zusammenhängende Kreditsicherheiten, Verträge und Rechtsgeschäfte untersagt und die Verfügungsbefugnis insoweit ausschließlich dem vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen (wird)" (Nr. 5.). Inzwischen, mit Beschluss v. 14.11.2003, ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragstellers eröffnet worden.
Mit Bescheid v. 3.11.2003 hat die Antragsgegnerin die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft erneut widerrufen, weil der Antragsteller nicht mehr die vorgeschriebene Vermögensschadens-Haftpflichtversicherung unterhalte und daher ein zwingender Grund für einen Widerruf der Zulassung gem. § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO vorliege. Das ergebe sich aus einer Mitteilung der A. Versicherungs-AG v. 16.10.2003, nach der an diesem Tage - d.h. am 16.10.2003 - die Haftpflichtversicherung geendet habe. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung ihrer Widerrufsverfügung gem. § 16 Abs. 6 S. 2 BRAO angeordnet. Der Bescheid ist dem Antragsteller am 4.11.2003 zugestellt worden.
Mit Schriftsatz v. 4.11.2003, eingegangen beim AnwGH am selben Tage, hat der Antragsteller Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und zugleich die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erstrebt; letztgenannter Antrag ist Gegenstand eines gesonderten Verfahrens (Az.: 1 AGH 21/03).
Der Antragsteller beruft sich darauf, dass für einen Monat, beginnend mit der Mitteilung der A. Versicherungs-AG v. 16.10.2003, der Versicherungsschutz der Mandanten noch im Rahmen der Nachhaftung des § 158c Abs. 2 S. 2 VVG gewährleistet gewesen sei. Unter dem Datum des 5.11.2003 habe die G. Konzern Allgemeine Versicherungs-AG ihm dann die Ausfertigung eines neuen Versicherungsvertrages mitgeteilt und unter dem Datum des 7.11.2003 das Bestehen des vorgeschriebenen Versicherungsschutzes gem. § 51 BRAO, rückwirkend ab dem 16.10.2003, bestätigt. Zwar habe die Versicherung, nachdem die Bestätigung am 7.11.2003 um 9.05 Uhr bei ihm eingegangen sei, in einem weiteren am 7.11.2003 um 15.08 Uhr übermittelten Schreiben ihre vorangegangenen Erklärungen als gegenstandslos bezeichnet und den Antrag auf Abschluss einer Vermögensschadens-Ha...