Leitsatz (amtlich)
1. Das Internet ist für die Ermittlung fiktiver Einkünfte im Unterhaltsrecht eine anerkannte Erkenntnisquelle (hier Internetportal "nettolohn. de"). Im Falle einer gesteigerten Erwerbsobliegenheit ist bei dem so ermittelten fiktiven Durchschnittslohn für den Kindesunterhalt ein Zuschlag von 10 % hinzuzurechnen, um das fiktive Einkommen zu ermitteln, da sich der Unterhaltsschuldner in diesem Fall auch um Stellen zu bemühen hat, in denen die Vergütung über den Durchschnittslohn hinaus geht.
2. Unterhaltsansprüche verwirken, wenn Unterhaltsrückstände geltend gemacht werden, deren Fälligkeit mehr als ein Jahr vor Rechtshängigkeit der Klage/des Antrags bzw. vor einem erneuten Tätigwerden des Unterhaltsgläubigers mit dem Ziel der Durchsetzung seiner Forderungen eingetreten ist (Zeitmoment) und der Unterhaltsschuldner aufgrund dessen davon ausgehen kann, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Soweit es beim Umstandsmoment auch darauf ankommt, inwieweit sich der Unterhaltsverpflichtete tatsächlich darauf eingerichtet hat, Unterhalt für die zurückliegende Zeit nicht mehr zahlen zu müssen, reicht die Feststellung aus, dass ein Unterhaltsverpflichteter erfahrungsgemäß seine Lebensführung an die ihm zur Verfügung stehenden Einkünfte anpasst, so dass er bei unerwarteten Unterhaltsnachforderungen nicht auf Ersparnisse zurückgreifen kann und dadurch regelmäßig in Bedrängnis gerät. Sind Anhaltspunkte dafür, dass es im zu entscheidenden Fall anders liegt, nicht ersichtlich, so bedarf es keiner besonderen Feststellungen dazu, dass der Unterhaltsschuldner sich tatsächlich auf den Fortfall der Unterhaltsforderungen eingerichtet hat.
Verfahrensgang
AG Halle (Saale) (Beschluss vom 14.06.2012; Aktenzeichen 23 F 871/10 UK) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der am 14.6.2012 verkündete Beschluss des AG - Familiengericht - Halle (Saale) (Az.: 23 F 871/10) unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels abgeändert:
Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller zu Händen der Kindesmutter für die Zeit von Juni 2009 bis Februar 2013 einen rückständigen Kindesunterhalt von insgesamt 4.610 EUR Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf einen Betrag von 1.218 EUR seit dem 22.7.2010 (Datum der Rechtshängigkeit) sowie auf weitere jeweils 92 EUR seit dem 2.8.2010, 2.9.2010, 2.10.2010, 2.11.2010, 2.12.2010, 2.1.2011, 2.2.2011, 2.3.2011, 2.4.2011, 2.5.2011, 2.6.2011, 2.7.2011, 2.9.2011, 2.10.2011, 2.11.2011, 2.12.2011, 2.1.2012, 2.3.2012, 2.4.2012, 2.5.2012, 2.6.2012, 1.7.2012, 1.8.2012, 1.9.2012, 1.10.2012 und 1.11.2012 und auf weitere jeweils 272 EUR seit dem 1.12.2012, 1.1.2013 und 1.2.2013 zu zahlen.
Des Weiteren wird der Antragsgegner verpflichtet, an den Antragsteller zu Händen der Kindesmutter ab dem Monat März 2013 einen jeweils monatlich im Voraus fälligen Kindesunterhalt i.H.v. 100 % des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe abzgl. des hälftigen staatlichen Kindergeldes für ein erstes und ein zweites Kind i.H.v. derzeit 92 EUR (gegenwärtiger monatlicher Zahlbetrag mithin: 272 EUR) nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf den jeweiligen Unterhaltsbetrag ab jeweiliger Fälligkeit zu zahlen.
Der weiter gehende Antrag des Antragstellers wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsgegner zu 3/4 und der Antragsteller zu 1/4.
Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.747 EUR festgesetzt.
In Abänderung der Entscheidung des AG zum Verfahrenswert wird der Verfahrenswert für das erstinstanzliche Verfahren wie folgt festgesetzt:
- für die Zeit bis 29.6.2011 einschließlich: 1.643 EUR,
- für die Zeit ab 30.6.2011: 2.747 EUR.
Die Entscheidung ist sofort wirksam.
Gründe
A. Der Antragsteller (*26.3.2006) nimmt den Antragsgegner (*15.3.1984) auf Zahlung von Kindesunterhalt i.H.v. laufend jeweils 100 % des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe abzgl. des hälftigen Kindergeldes "zum 1. des auf die gerichtliche Entscheidung im schriftlichen Verfahren folgenden Monats" sowie auf Zahlung rückständigen Unterhalts für die Zeit ab Oktober 2008 unter Abzug empfangener Leistungen nach dem UVG sowie anteiligen Kindergeldes in Anspruch.
Der Antragsgegner und die Kindesmutter, die allein sorgeberechtigt ist und den Antragsteller im Verfahren vertritt, waren und sind nicht miteinander verheiratet. Der Antragsteller wird von seiner Mutter betreut und versorgt und ist wohnhaft in H..
Vom 1.12.2006 an bis zum 30.11.2012 bezog der Antragsteller Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in jeweiliger gesetzlicher Höhe (monatlich 117 EUR bis Dezember 2009, 133 EUR von Januar 2010 bis Februar 2012 und 180 EUR von März 2012 bis November 2012).
Der ebenfalls in H. wohnhafte Antragsgegner geht seit dem 1.8.2011 aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 27.7.2011 mit der Fa. "B. " in H. einer geringfügigen Beschäftigung (Wochenarbeitszeit: 14,9 Stunden; vgl. Bl. 16 BH VKH AG)
nach, mit der er monatlich netto 396,80 EUR erzi...