Leitsatz (amtlich)

ChemiePark

1. Die nationale Rechtsvorschrift des § 110 Abs. 1 Nr. 2 EnWG bietet keine wirksame rechtliche Grundlage für die in dieser Vorschrift vorgesehene Befreiung von Elektrizitätsverteilernetzen von der Verpflichtung zur Gewährung eines freien Netzzugangs, weil sie gegen höherrangige Vorgaben des Gemeinschaftsrechts verstößt. Sie hat unangewendet zu bleiben.

2. Ist die Feststellung des Objektnetzstatus' durch die Regulierungsbehörde getroffen worden, ohne dass zuvor eine ausreichende Ermittlung der tatsächlichen Grundlage für diese Entscheidung erfolgt ist, so ist dieser Mangel im Beschwerdeverfahren objektiv nicht heilbar. Der Verstoß gegen § 68 Abs. 1 EnWG ist jedenfalls dann beachtlich und führt zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides, wenn nicht jeder vernünftige Zweifel an der materiellen Richtigkeit des Bescheides ausgeschlossen ist.

3. Zu den tatsächlichen Grundlagen für die Feststellung des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens der Merkmale eines Dienstleistungsnetzes i.S.v. § 110 Abs. 1 Nr. 2 EnWG.

 

Verfahrensgang

Landesregulierungsbehörde für Elektrizität und Gas des Landes Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 08.09.2005)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss der Landesregulierungsbehörde für Elektrizität und Gas des Landes Sachsen-Anhalt vom 8.9.2005 aufgehoben, soweit er sich auf das Elektrizitätsnetz der Antragstellerin bezieht.

Im Umfange der Aufhebung wird der Antrag der Antragstellerin auf Feststellung des Objektnetzstatus' für ihr Elektrizitätsnetz im ChemiePark B. W. zurückgewiesen.

Die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die außergerichtlichen Auslagen der Beschwerdeführerin haben die Regulierungsbehörde und die Antragstellerin jeweils zur Hälfte zu tragen. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der Kostenwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 10.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin ist ein Energiedienstleister in der Region B.-W. Sie betreibt im ChemiePark B. W. das in ihrem Eigentum befindliche Elektrizitätsnetz (mit Hoch-, Mittel- und Niederspannungsebene), das Gasnetz (in den Druckstufen Hoch- und Niederdruck), ein Druckluftnetz und ein Prozessdampfnetz (im Areal A im Mitteldruck und in den Arealen B bis E im Hoch- und Niederdruckbereich) sowie ein Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk. Daneben betreibt sie im M. Park T. ein Elektrizitäts- und Gasnetz und erbringt energienahe Dienstleistungen in der Region.

Am 22.8.2005 beantragte sie bei der Regulierungsbehörde die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen zum Betrieb eines Objektnetzes für die Elektrizitätsversorgung und die Gasversorgung im ChemiePark B. W. nach § 110 Abs. 1 Nr. 2 EnWG.

Dem Antrag waren beigefügt ein Übersichtsplan über das Gebiet des ChemieParks sowie der Geschäftsbericht für das Jahr 2004. Die Regulierungsbehörde entsprach dem Antrag durch Bescheid vom 8.9.2005. In dem Bescheid, der keinen Tenor enthält, heißt es im Wesentlichen:

"Die mit Schreiben vom 22.8. eingereichten Unterlagen waren vollständig und prüffähig.

Die Prüfung der Unterlagen führte zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen nach § 110 Abs. 1 EnWG unter der Maßgabe, dass keine Haushaltskunden i.S.v. § 3 Nr. 22 EnWG aus dem Elektrizitätsnetz bzw. dem Gasnetz innerhalb der Grundversorgung versorgt werden, vorliegen.

Ausgehend vom vorliegenden Sachverhalt war nach § 110 Abs. 4 i.V.m. § 54 Abs. 2 EnWG zu entscheiden, ob die Voraussetzungen zum Betrieb eines Objektnetzes für die Elektrizitätsversorgung und zum Betrieb eines Objektnetzes für die Gasversorgung durch die [Antragstellerin] am Standort im ChemiePark B. W. vorliegen. Dieser Tatbestand ist gegeben."

Es folgen eine Nebenbestimmung, Kostenregelungen und eine Rechtsmittelbelehrung. Die Nebenbestimmung beinhaltete die Auflage, binnen fester Frist schriftlich anzuzeigen, dass der Abschluss von Energielieferverträgen mit allen Haushaltskunden einvernehmlich erfolgt sei.

Im Antragsverfahren wurden Dritte nicht beteiligt; die Entscheidung wurde allein der Antragstellerin zugestellt. Das Verfahren war auch nicht in sonstiger Weise in der Öffentlichkeit bekannt.

Die Antragstellerin kam der Auflage mit Schreiben vom 21.11.2005 fristgerecht nach und bestätigte pauschal, dass mit allen von ihr belieferten Haushaltskunden Energielieferungsverträge einvernehmlich abgeschlossen worden seien.

Die Beschwerdeführerin ist ein bundesweit tätiger Stromlieferant. Sie beliefert u.a. seit dem 1.1.2005 ein Unternehmen des Einzelhandels, welches nur über das Arealnetz der Antragstellerin mit Elektrizität versorgt werden kann, mit Strom zu einem befristet vereinbarten Festpreis. Zur Sicherung der Stromlieferung schloss die Beschwerdeführerin mit der Antragstellerin einen Lieferantenrahmenvertrag zur Netznutzung. Ende Dezember 2005 wurde sie von der Antragstellerin darüber in Kenntnis gesetzt, dass ihr Stromnetz als Objektnetz qualifiziert worden sei.

Im Februar 2006 beantragte die hiesige Beschwerdeführerin erstmals...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge