Leitsatz (amtlich)
Die Parteianhörung und die Parteivernehmung nach § 448 ZPO stellen Hilfsmittel zugunsten der beweisbelasteten Partei in Beweisnot dar. Sind beide Parteien gleichermaßen in Beweisnot, so kommt eine Parteivernehmung der beweisbelasteten Partei nicht in Betracht, sondern nur ihre Anhörung. Dadurch allein kann aber der Beweis nicht geführt werden.
Verfahrensgang
LG Stendal (Urteil vom 18.01.2013; Aktenzeichen 21 O 124/11) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 18.1.2013 verkündete Urteil des LG Stendal (21 O 124/11) abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Berufung des Klägers gegen das am 18.1.2013 verkündete Urteil des LG Stendal (21 O 124/11) wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
und beschlossen:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf die Gebührenstufe bis 22.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger, der als Zeitungsausträger tätig ist, macht gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus dem Gesichtspunkt einer Verkehrssicherungspflichtverletzung geltend. In der Klageschrift hat der Kläger vorgetragen (Bl. 2/3 I):
... Am 10.2.2010 verteilte der Kläger auch Zeitungen und Werbezettel in den Straßen "N. " und "R. " in B., und zwar nachmittags. In der Nacht hatte es zuvor geschneit. Bei beiden Straßen handelt es sich um solche, die über keinen mit einem Bordstein abgesetzten Fußweg verfügen, sondern nur um eine einheitliche Verkehrsfläche für Fahrzeuge und Fußgänger. Beide Straßen waren an dem Tage selbst nachmittags nicht vom Schnee beräumt gewesen. Als der Kläger die Zeitungen und Prospekte zunächst in der Straße "N. " an dem Tag verteilt hatte, wollte er die Straße überqueren, um zum weiteren Austragen in die Straße "R. " zu gelangen. Etwa 1,40 m bis 1,60 m von dem dort angrenzenden Grundstück entfernt rutschte der Kläger auf dieser öffentlichen Straßenfläche auf einmal auf einer äußerst schrägen, sich unter Neuschnee befindlichen Glatteisfläche aus ...
Die Beklagte hat in der Klageerwiderung (Bl. 57 I) den Unfallhergang und die Unfallörtlichkeit mit Nichtwissen bestritten. Dazu hat sie ausgeführt, dass es sich bei der Straße "N. " um einen Privatweg handele, für den für die Beklagte keine Verkehrssicherungspflicht bestehe. Für die Straße "R. " habe sie die Verkehrssicherungspflicht für die Gehwege per Satzung auf die Anwohner übertragen (Bl. 60 ff. I). In § 3 Abs. 3 S. 2 der Satzung heißt es:
Soweit in verkehrsberuhigten Bereichen (...) Gehwege nicht vorhanden sind, gilt als Gehweg ein Streifen von 1,5 m Breite entlang der Grundstücksgrenze.
In der Replik hat der Kläger dann vorgetragen, dass sich der Unfall nicht in der Straße "N. ", sondern in der Straße "R. " ereignet habe (Bl. 66 I). Weiter hat er unstreitig gestellt, dass es sich bei der Straße "N. " um einen Privatweg handelt. Im weiteren Vortrag hat sich der Kläger zum Unfallhergang und zur Unfallörtlichkeit auf das Zeugnis der Zeugen
berufen. Im Schriftsatz vom 12.10.2010 hat der Kläger zur Unfallörtlichkeit vorgetragen (Bl. 103 I):
... Der Kläger kam von der "W. Straße" und der Einmündung der "N. " aus kommend in die Straße "R. " und überquerte diese in der dortigen Kurve ...
Dazu hat der Kläger einen Kartenausschnitt vorgelegt (Bl. 104 I). Im Termin vom 4.11.2011 hat das LG den Kläger angehört und die vorgenannten Zeugen vernommen (Bl. 123 ff. I). Das LG hat sodann weiter Beweis erhoben über die Verletzungen des Klägers durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachten (Bl. 2 ff. II), das der Sachverständige im Termin vom 14.12.2012 mündlich erläutert hat (Bl. 43 f. II). Der Kläger hat bei dem Sturz folgende Verletzungen erlitten:
- Prellungen des Beckens und der Extremitäten
- Abriss des Prozessus Koroniodeus (= Kronenfortsatz der Elle)
- Fraktur des rechten Ellenbogens
Der Kläger verlangt ein Schmerzensgeld i.H.v. 10.000,- Euro, eine monatliche Schmerzensgeldrente i.H.v. 100,- Euro, Verdienstausfall in Höhe 1.114,86 EUR, sowie Ersatz der Kosten für ein ärztliches Attest (44,60 EUR). Weiter stellt er einen Feststellungsantrag wegen künftiger materieller und immaterieller Schäden und verlangt weiter den Ausgleich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.561,28 EUR.
Neben der Unfallörtlichkeit "R. " bestreitet die Beklagte, dass dort überhaupt eine Räumpflicht bestanden habe. Bei dieser Straße handele es sich ausschließlich um einen Zugang für die dahinter liegenden Gartengrundstücke, so dass der Verkehr zu diesen Grundstücken - gerade im Winter - gegen Null tendiere. An der Straße befänden sich keine Wohngrundstücke, es seien keine Anlieger gemeldet, so dass dort auch keine Post auszutragen sei. Sie habe zudem die Räumpflicht wirksam auf die Eigentümer der Grundstücke übertr...