Leitsatz (amtlich)
1. Ist abweichend vom Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StVO ein paralleles Fahren auf beiden Fahrstreifen zulässig (hier nach § 7 Abs. 1 StVO), so kommt ein Verstoß gegen das Gebot, nur dann zu überholen, wenn man selbst mit wesentlich höherer Geschwindigkeit fährt als der zu Überholende (§ 5 Abs. 2 Satz 2 StVO), nicht in Betracht. Die Zulässigkeit der Benutzung des linken Fahrstreifens ist von der konkreten Verkehrssituation abhängig.
2. Wird ein Unfall dadurch verursacht, dass ein Kraftfahrzeug eine durchgehende doppelte Fahrbahnbegrenzungslinie (Zeichen 295 in Anlage 2 zu § 41 StVO) nach links überfährt und das vor ihm fahrende Auto zu überholen beginnt und der zu Überholende mit einer Lenkbewegung nach links in den Fahrweg des Überholers einfährt, wodurch es zur Kollision beider Fahrzeuge kommt, dann trägt der Überholende die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Lenkbewegung des Überholten Handlungsqualität besaß (in Abgrenzung zu einer behaupteten Schreckreaktion).
Verfahrensgang
LG Dessau-Roßlau (Urteil vom 27.11.2009; Aktenzeichen 4 O 793/07) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 27.11.2009 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des LG Dessau-Roßlau wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
A. Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen i.S.v. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO wird nach §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
B. Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Das LG hat zu Recht darauf erkannt, dass der Kläger gegen die Beklagten keinen über eine Quote von 50 % hinaus gehenden Anspruch auf Ersatz seiner Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 14.6.2007 in D., O. Chaussee, hat.
1. Allerdings ist ein Anspruch des Klägers gegen die gesamtschuldnerisch haftenden Beklagten nach §§ 18 Abs. 1 Satz 1, 7 Abs. 1 StVG und § 3 Satz 1 PflVG dem Grunde nach gegeben.
Der Beklagte zu 1) ist als Fahrer des Kraftfahrzeugs VW Touran mit dem amtlichen Kennzeichen ... verpflichtet, dem Kläger die durch den Betrieb dieses Fahrzeugs anlässlich des vorgenannten Unfalls entstandenen Schäden zu ersetzen. Gegen die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherer besteht ein entsprechender Direktanspruch. Anhaltspunkte für einen Ausschluss der Ersatzpflicht der Beklagten nach §§ 7 Abs. 2 bzw. 18 Abs. 2 StVG bestehen nicht.
2. Der Kläger kann einen Ausgleich seiner Schäden jedoch nur nach Maßgabe des § 17 Abs. 1 StVG beanspruchen, denn er ist selbst Halter des anderen unfallbeteiligten Fahrzeuges, des Pkw Audi A 4 mit amtlichem Kennzeichen ... gewesen (§§ 17 Abs. 2, 18 Abs. 3 StVG). Im Innenverhältnis richtet sich die Haftungsverteilung zwischen dem Kläger als Fahrzeughalter des einen Unfallwagens und dem Beklagten zu 1) als Fahrzeugführer des anderen Unfallwagens nach den Umständen der Unfallentstehung und insbesondere nach den beiderseitigen Verursachungsanteilen. In die Abwägung der Verursachungsanteile sind - im Übrigen ebenso, wie im Rahmen einer Betrachtung der Verschuldensanteile i.S.v. §§ 249, 254 BGB - lediglich diejenigen tatsächlichen Umstände einzubeziehen, die nachgewiesen sind. Die Haftung der Beklagten zu 2) folgt derjenigen des Beklagten zu 1). Dagegen haben nur mögliche, aber nicht sicher feststellbare Verstöße gegen verkehrsrechtliche Verpflichtungen bei der Abwägung außer Betracht zu bleiben. Nach diesen Maßstäben ist eine Haftung der Beklagten zu mehr als 50 % nicht gerechtfertigt.
a) Das LG ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die Verursachungsbeiträge des Klägers und des Beklagten zu 1) ohne Berücksichtigung der unmittelbaren unfallursächlichen Lenkbewegung des Beklagten zu 1) nach links etwa als gleichgewichtig zu bewerten sind.
aa) Die Beklagten haben nur für die einfache Betriebsgefahr ihres Kraftfahrzeugs einzustehen. Dabei kann zugunsten des Klägers als wahr unterstellt werden, dass der Beklagte zu 1) bei der Annäherung des Klägers an die beiden nebeneinander fahrenden Kfz der Zeugin K. auf der rechten Fahrspur und des Beklagten zu 1) auf der linken Fahrspur verkehrsbehindernd i.S.v. § 3 Abs. 2 StVO wirkte und dies bei genügender Sorgfalt auch hätte erkennen und vermeiden können. Diese unterstellte Verkehrspflichtwidrigkeit ist für den Unfall jedenfalls nicht ursächlich geworden.
(1) Der Beklagte zu 1) verstieß vor dem Unfall nicht gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, Abs. 2 StVO. Auf Fahrbahnen mit mehreren Fahrstreifen für eine Richtung ist nach § 7 Abs. 1 Satz 1 StVO eine Abweichung vom Rechtsfahrgebot in Abhängigkeit von der Verkehrslage zugelassen. Sowohl nach der Darstellung des Unfallhergangs durch den Kläger als auch nach derjenigen der Beklagten bestand für den Beklagten zu 1) vor der Annäherung des Fahrzeugs des Klägers von hinten keine Veranlassung, den linken Fahrstreifen frei zu halten.
(2) Entgegen d...