Leitsatz (amtlich)
1. Für die Frage, ob ein anwaltliches Schreiben in der Rechtsschutzversicherung als Stichentscheid aufzufassen ist oder nicht, ist der Empfängerhorizont des Rechtsschutzversicherers maßgeblich.
2. Um Bindungswirkung zu entfalten, muss sich ein Stichentscheid allein mit den zuvor vom Rechtschutzversicherer genannten, nicht jedoch mit weiter denkbaren Ablehnungsgründen auseinandersetzen.
3. Ein Zahlungs- bzw. Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers für ein beabsichtigtes vorprozessuales Tätigwerden seines Anwalts scheidet mangels Erforderlichkeit nach § 125 VVG aus, wenn allein eine sofortige Klageerhebung als sachgerechte Interessenwahrnehmung anzusehen ist.
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 08.12.2015; Aktenzeichen 5 O 57/15) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung ihres weiter gehenden Rechtsmittels - das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Halle, Az.: 5 O 57/15, teilweise abgeändert und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin auf Grundlage des Versicherungsvertrages mit der Versicherungsnummer ... Rechtsschutz für eine beabsichtigte Schadensersatzklage gegen den Notar Dr. J. B. aus B. zu gewähren.
Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Klägerin 22 % und die Beklagte 78 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
und beschlossen:
Der Streitwert wird für beide Instanzen - unter Abänderung der Festsetzung des LG in dem Beschluss vom 11.2.2016 - auf 18.257,98 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt festzustellen, dass ihr die Beklagte als Rechtsschutzversicherer Deckungsschutz für eine beabsichtigte Klage zu gewähren habe. Zudem verlangt sie Zahlung für die Erstellung eines anwaltlichen Stichentscheids sowie Befreiung von einer Vorschussforderung für ein vorprozessuales Tätigwerden ihres Anwalts.
Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten bis Ende 2012 eine Rechtsschutzversicherung unter Geltung der ARB 2008 (im Folgenden: ARB).
In versicherter Zeit, am 10.10.2008, beurkundete der in B. ansässige Notar Dr. J. B. einen Wohnungskaufvertrag, wonach sich die Klägerin verpflichtete, für eine in der P. Straße gelegene Wohnung als Kaufpreis 99.067,77 EUR an die P. GmbH zu zahlen. In der notariellen Urkunde findet sich auf Bl. 2 folgende Passage:
Der amtierende Notar belehrte die Erschienenen darüber, dass er gemäß § 17 Abs. (2a) Ziffer 2 BeurkG erst dann eine Beurkundung unter Beteiligung eines Verbrauchers vornehmen solle, wenn der Verbraucher zuvor mindestens zwei Wochen Gelegenheit gehabt habe, sich mit dem rechtlichen und wirtschaftlichen Inhalt der Urkunde auseinander zu setzen.
Die Erschienene zu 2. erklärte, dass die Frist von zwei Wochen nicht eingehalten sei. In Kenntnis der gesetzlichen Verbrauchervorschrift bestand sie dennoch auf sofortiger Beurkundung des folgenden Wohnungskaufvertrages, weil sie sich bereits endgültig zum Kauf der Wohnung ... entschlossen habe, und für den Fall einer Verschiebung des Beurkundungstermins eine anderweitige Veräußerung dieser Wohnung befürchte.
Den Kaufpreis sowie weitere durch den Wohnungserwerb entstandene Kosten in Höhe von rund 106.000,00 EUR finanzierte die Klägerin über zwei Bankdarlehen.
Vor dem LG Berlin führte die Klägerin unter dem Az. 32 O 402/10 einen Rechtsstreit gegen die Verkäuferin und verlangte die Rückabwicklung des Kaufvertrages, da es sich bei der Wohnung um eine Schrottimmobilie gehandelt habe. Daraufhin wurde die Verkäuferin am 2.9.2011 antragsgemäß verurteilt (Anlagenband, Anlage 4), der Klägerin - Zug um Zug gegen Rückübertragung des Eigentums an der Wohnung - 106.600,00 EUR sowie weitere 9.022,05 EUR zu zahlen.
Bereits während des Rechtsstreits vor dem LG Berlin ließ die Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 29.7.2011 (Bl. 27, 28 d.A.) gegenüber der Beklagten, welche für den Prozess als Rechtsschutzversicherer einstandspflichtig war, verlautbaren, dass man einen Vergleich ins Auge fasse, da der gegnerische Prozessbevollmächtigte mitgeteilt habe, die P. GmbH verfüge über kein Geld mehr.
Nachdem die Klägerin Anfang 2012 erfahren hatte, dass die P. GmbH ihren gesamten Wohnungsbestand bereits im Jahre 2010 verkauft und auf die E. GmbH & Co. KG übertragen hatte, wandte sie sich mit Schreiben vom 17.2.2012 an die Beklagte und bat um Deckungszusage für eine Anfechtungsklage gegen die E. GmbH & Co. KG. Trotz eines von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin gefertigten Stichentscheides lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 20.4.2012 die Erteilung einer Deckungszusage ab. Daraufhin reichte die Klägerin am 26.11.2012 eine Deckungsschutzklage beim LG Halle gegen die Beklagte ein. Das Verfahren endete in zweiter Instanz mit einem vor dem Senat am 15.1.2015 geschlossenen Vergleich.
Die beim LG Berlin auf eigene Kosten am 5.8.2014 gegen die E. GmbH & Co. KG erhobene Anfechtungsklage nahm die Klägerin zurück, nachdem der BGH mit Beschluss vom 25.9.2014, Az.: IX ZR 120/13, die in einem Parallelverfahren von einem anderen Wohnungskäufer gegen die E. Gmb...