Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum AGB-Charakter von Vertragsklauseln in Sonderkunden-Gaslieferverträgen über die Berechnungsfaktoren des Gaspreises

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Unterscheidung zwischen Preishauptabreden und Preisnebenabreden.

2. Eine Spannungsklausel in Sonderkunden-Lieferungsverträgen für leitungsgebundenes Erdgas, die eine Änderung des Gaspreises ausschließlich an die Preisentwicklung für leichtes Heizöl knüpft und Kostensenkungen des Lieferanten außerhalb der Gasbezugskosten weder beim Arbeitspreis noch beim Grundpreis berücksichtigt, benachteiligt den Kunden des Versorgungsunternehmens unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 BGB. Das gilt auch für gewerbliche Sonderkunden.

3. Bei Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel kommt eine ergänzende Vertragsauslegung dahin gehend in Betracht, dass die im Liefervertrag ausdrücklich vorgesehenen Fristen zur Geltendmachung von Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abrechnungen der Lieferantin auch auf die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Preisänderung angewendet werden.

 

Verfahrensgang

LG Halle (Saale) (Urteil vom 08.12.2011; Aktenzeichen 6 O 151/11)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 8.12.2011 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 6. Zivilkammer des LG Halle teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ... EUR nebst Zinsen hierauf i.H.v. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.3.2011 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weiter gehende Berufung der Beklagten und die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil werden zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz haben die Klägerin zu 72,4 % und die Beklagte zu 27,6 % zu tragen; die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin zu 56,7 % und der Beklagten zu 43,3 % auferlegt.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

 

Gründe

A. Die Klägerin begehrt von der Beklagten teils aus eigenem, teils aus abgetretenem Recht die Rückzahlung von Entgelten für Gaslieferungen im Zeitraum vom 1.10.2005 bis zum 31.12.2007 aufgrund von Preiserhöhungen, die sie für unwirksam hält.

Die Klägerin ist ein Unternehmen, welches Geflügelfarmen betreibt. Im vorgenannten Zeitraum setzte sie für die Beheizung zweier Produktionsstandorte in T. und L. Erdgas als Energieträger ein, das ihr eine Rechtsvorgängerin der Beklagten, die E. GmbH (künftig: die Beklagte), als Gasversorgerin lieferte.

Hinsichtlich des Produktionsstandorts der Klägerin in T. - Abnahmestelle Nr ... - erfolgte die Belieferung auf der Grundlage eines Gaslieferungsvertrages vom 13.8.1996, der von den Vertragsparteien am 26./27.5.1997 unterzeichnet worden war. Der Vertrag enthielt in seinem Haupttext unter Ziff. 0.2 "Gaspreis" lediglich die Regelung, dass ein Entgelt nach den Bestimmungen der Anlage 3 zu zahlen sei. Vertragsbestandteile waren u.a. die Anlagen 1 und 3. Anlage 1 enthielt unter Abschnitt 1.10. Regelungen zur Abrechnung und Zahlung. Danach war eine monatliche Abrechnung, und zwar jeweils am Anfang eines Monats für den jeweiligen Vormonat, vorgesehen. In Ziff. 1.10.3 hieß es:

"Einwände gegen Rechnungen berechtigen zum Zahlungsaufschub oder zur Zahlungsverweigerung nur, soweit sich aus den Umständen ergibt, dass offensichtliche Fehler vorliegen. Der Zahlungsaufschub oder die Zahlungsverweigerung können in diesem Falle nur innerhalb von zwei Jahren nach Zugang der fehlerhaften Rechnung geltend gemacht werden."

In Anlage 3 waren Einzelheiten der sog. Zonenpreisregelung des Gaspreises enthalten. Unter 3.1 wurde eine Abrechnung der gelieferten Gasmengen nach ihrem thermischen Brennwert in Kilowattstunden je Kubikmeter vereinbart. Unter 3.2 folgte eine Regelung zum Gaspreis; darin hieß es:

"3.2.1 Der Preis für die im Rechnungsjahr gelieferten Gasmengen beträgt

für die ersten

1.000.000 kWh

... Pf/kWh

für die nächsten

4.000.000 kWh

... Pf/kWh

für die nächsten

12.000.000 kWh

... Pf/kWh

für die nächsten

34.000.000 kWh

... Pf/kWh

für alle weiteren

kWh

... Pf/kWh.

3.2.2 Für die monatliche Abrechnung werden mit Beginn des Rechnungsjahres die einzelnen Preiszonen entsprechend der im Jahr fortschreitenden Lieferung nacheinander angewendet.

3.2.3 Der Kunde hat jährlich mindestens 4,9 Mio. kWh zu bezahlen ..."

Der Abschnitt 3.3 war mit "Änderung des Gaspreises" überschrieben. Der Abschnitt enthielt Regelungen, die eine möglichst unveränderte Bindung des Arbeitspreises für geliefertes Erdgas an den Preis für leichtes Heizöl (künftig: HEL) gewährleisten sollten (vgl. Ziff. 3.3.4 Unterabs. 2), zudem soll...

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