Leitsatz (amtlich)

Nach derzeitigem Stand der Wissenschaft kann ein allgemein gesicherter Grenzwert ab dem Drogenkonsum die Annahme absoluter Fahruntüchtigkeit rechtfertigt, nicht begründet werden. Bei einem Alkoholwert unter 1,1 o/oo ergibt auch eine Addition des Alkohol- und des Dorgenwertes keine absolute Fahruntüchtigkeit.

Ein Leistungsausschluss nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 94 kommt somit nur in Betracht, wenn Ausfallerscheinungen oder Fahrfehler festgestellt werden können, die den Schluss auf eine alkohol- oder drogenbedingte Fahruntauglichkeit zum Unfallzeitpunkt zulassen.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 07.10.2004; Aktenzeichen 6 O 573/03 (098))

 

Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das am 7.10.2004 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des LG Magdeburg abgeändert; die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger gemeinschaftlich 5.112,92 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 11.8.2001 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht zuvor Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Beschwer der Beklagten übersteigt 20.000 EUR nicht.

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 5.112,92 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Kläger nehmen die Beklagte auf Leistungen aus einer Unfallversicherung in Anspruch.

Die Kläger sind die Eltern und Erben ihres am 19.1.2001 bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückten Sohnes R.M. Dieser war am Unfalltag gegen 12.45 Uhr auf der K 2357 zwischen Wt. und Ws. mit seinem Pkw in einer leichten Rechtskurve auf feuchter Straße nach links auf die Gegenfahrbahn geraten und dort mit einem Kleintransporter kollidiert; den Sicherheitsgurt hatte er nicht angelegt. Bei der durchgeführten Blutprobe wurde eine Alkoholkonzentration von 0,61 g Promille festgestellt, zudem fanden sich Cannabinoide im Blut.

Für den Verstorbenen bestand seit 1995 bei der Beklagten eine Unfallversicherung, die für den Todesfall eine Versicherungssumme von 10.000 DM (5.112,92 EUR) umfasste; bezugsberechtigt sind die Kläger. Die Beklagte verweigerte mit Schreiben vom 10.8.2001 die Auszahlung der Versicherungssumme unter Hinweis auf die als Vertragsbestandteil vereinbarten AUB 94. Diese enthalten in § 2 Abs. 1 Ziff. 1 einen Risikoausschluss für Unfälle infolge von Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese durch Trunkenheit verursacht sind.

Die Kläger sind der Auffassung, die Beklagte sei auf Grund des Unfalltodes ihres Sohnes zur Zahlung der vereinbarten Entschädigung aus der Unfallversicherung verpflichtet.

Sie haben beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.112,92 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.8.2001 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, der Sohn der Kläger sei zum Unfallzeitpunkt auf Grund Alkohol- und Drogenkonsums absolut fahruntüchtig gewesen. Im Blut des Verstorbenen habe sich eine THC-Säurekonzentration von 31 ng/ml befunden, die Hydroxi-THC-Konzentration habe bei 3,0 ng/ml gelegen. Hieraus errechne sich ein den Wirkungsgrad wiedergebender Cannabis-Influenz-Faktor von 22,4. Neuere Untersuchungen seien zu dem Ergebnis gelangt, dass bereits ab einem Faktor von 10 absolute Fahruntüchtigkeit, vergleichbar mit einem Alkoholwert von 1,1 o/oo, bestehe. Selbst wenn man nur von relativer Fahruntüchtigkeit ausgehen wollte, sei der Risikoausschluss des § 2 Abs. 1 Ziff. 1 AUB 94 erfüllt. Denn der Versicherte sei auf Grund überhöhter Geschwindigkeit in einer nur leichten Kurve von der Fahrbahn abgekommen; dies stelle einen typischerweise auf Alkoholgenuss zurückzuführenden Fahrfehler dar, sodass auf eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit zu schließen sei. Hinzu komme, dass die Fahrbahn zum Unfallzeitpunkt recht schmierig gewesen sei, weshalb andere Verkehrsteilnehmer (der Unfallbeteiligte N. und die ihm nachfolgende Zeugin St.) langsam und vorsichtig gefahren seien.

Das LG hat Beweis erhoben durch schriftliche Auskunft und mündliche Vernehmung des sachverständigen Zeugen Dr. R. Zum Gegenstand der Beweisaufnahme wird auf den Beweisbeschluss vom 5.2.2004 (Bd. I, Bl. 105 f.) verwiesen; von der Ausführung des Beweisbeschlusses vom 24.7.2003 zur Frage der Fahruntüchtigkeit des Verstorbenen (Bd. I, Bl. 49/50) hat es abgesehen. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 19.8.2004 Bezug genommen (Bd. I, Bl. 130 ff.). Sodann hat die Kammer die Klage abgewiesen mit der Begründung, das Unfallgeschehen lasse auf einen alkohol- und cannabinoidbedingten Fahrfehler und damit auf eine relative Fahruntüchtigkeit schließen. Der Verstorbene sei bei ungünstigen Straßenverhältnissen mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und habe in einer keineswegs scharfen Rechtskurve die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren. Schon die überhöhte Geschwindigkeit sei als ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge