Leitsatz (amtlich)

Wenn bei einer, die Motoremissionen günstig beeinflussenden Regelung des Sollwerts der Kühlmitteltemperatur, die applizierten Schaltkriterien so gewählt sind, dass wesentliche Randbedingungen des gesetzlichen Prüfverfahrens erkannt werden können und die Sollwertabsenkung mit Sicherheit bei der gesetzlichen Prüfung Typ 1 im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) aktiv ist, unter normalen Betriebsbedingungen hingegen oft abgeschaltet wird, liegt eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) 715/2007 vor.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 23.01.2020; Aktenzeichen 10 O 711/19)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 23.01.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg - 10 (O) 711/19 - abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 25.741,43 EUR zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs ... mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ..., und an die ... Rechtschutzversicherungs-AG, ..., zur Schadennummer ... vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.358,86 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.07.2019 zu erstatten.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 36 % und die Beklagte 64 %.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet.

und beschlossen:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf die Stufe bis 35.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten die Rückabwicklung eines Fahrzeugerwerbs.

Am 11.09.2014 erwarb der Kläger bei der Niederlassung der Beklagten in ... von dieser im Rahmen eines Eigengeschäfts einen am 12.03.2013 produzierten (gebrauchten) ... mit einem Kilometerstand von 25.494 km zu einem Bruttokaufpreis von 33.950,00 EUR. Am 16.09.2014 zahlte der Kläger hierauf 2.500,00 EUR an; der Restbetrag wurde bei der ... finanziert und sollte in 49 Monatsraten zu jeweils 452,03 EUR und einer am 15.09.2018 fälligen Schlussrate i.H.v. 13.580,00 EUR zurückgezahlt werden. In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Motor des Typs ... 1 verbaut, welcher über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung verfügt, die bewirkt, dass unter den Bedingungen, die bei der für die Typzulassung notwendigen Prüfung im Labor herrschen, die Kühlmitteltemperatur künstlich niedrig gehalten wird, wodurch sich die Aufwärmung des Motoröls verzögert, sodass die Stickoxidwerte auf dem Prüfstand sicher unterhalb des gesetzlichen Grenzwertes bleiben; im Straßenbetrieb wird diese Funktion hingegen oft deaktiviert und der Grenzwert überschritten. Am ... hat das Kraftfahrt-Bundesamt deshalb einen verpflichtenden Rückruf angeordnet, von dem das streitgegenständliche Fahrzeug betroffen ist.

Der Kläger hat vorgetragen, das Fahrzeug weise unzulässige Abschalteinrichtungen in Gestalt eines Thermofensters sowie einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung auf, weshalb er Rückabwicklung des Kaufvertrages verlangen könne.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 31.565,91 EUR nebst bis zum 23.01.2020 aufgelaufenen Zinsen i.H.v. 4.155,41 EUR sowie ab dem 23.01.2020 entstandener weiterer Zinsen i.H.v. 4 % aus 37.777,44 EUR, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs ... mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ..., zu zahlen,

festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs seit dem 30.05.2019 in Annahmeverzug befindet,

und die Beklagte zu verurteilen, ihn von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 2.033,00 EUR gegenüber seinen Prozessbevollmächtigten freizustellen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, der streitgegenständliche Motor ... verfüge über keine Manipulationssoftware mit Prüfstandserkennung, wie sie im ... -Motor ... zum Einsatz gelangt sei.

Mit am 23.01.2020 verkündeten Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass kein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 826 BGB bestehe, weil das Vorhandensein einer illegalen Abgasmanipulationssoftware eine bloße Behauptung ins Blaue hinein darstelle, woran auch der Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt nichts ändere. Unabhängig davon fehle es hinsichtlich des angeblich installierten Thermofensters nach obergerichtlicher Rechtsprechung jedenfalls an einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung.

Hiergegen wendet sich der Kläger unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens mit der Berufung, wobei er darauf hinweist, dass das Landgericht seinen Vortrag zur Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung übergangen habe.

Der Kläger beantragt zuletzt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 31.104,75 EUR nebst Zinsen i.H.v. 4.155,41 EUR nebst weiterer Zinsen i.H.v. 4 Prozent pro Jahr aus 37.777,44 EUR seit dem ...

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