Leitsatz (amtlich)
1. Der bloße Nachweis der Authentifizierung eines Zahlungsvorganges durch Verwendung von PIN und TAN genügt nicht für die unwiderlegliche Vermutung, der Zahler habe selbst die Zahlung autorisiert oder für sie nach § 675v BGB einzustehen. § 675w Satz 3 BGB erfordert vielmehr die Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls im Rahmen richterlicher Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO.
2. Die Autorisierung eines Zahlungsvorganges nach § 675j Abs. 1 Satz 1 BGB muss tatsächlich vom Zahler stammen. Die Erklärung eines nicht vertretungsberechtigten Dritten kann dem Zahler nicht nach Rechtsscheingrundsätzen zugerechnet werden.
3. Die telefonische Weitergabe von im manuellen Chip-TAN-Verfahren generierten TANs an einen vermeintlichen Mitarbeiter des Zahlungsdienstleisters begründet regelmäßig den Vorwurf einer grob fahrlässigen Verletzung der Geheimhaltungspflichten § 675l Abs. 1 Satz 1 BGB. Dass der Zahlungsdienstnutzer zuvor nur das optische Chip-TAN-Verfahren genutzt hat und der Anruf unter der Telefonnummer des Zahlungsdienstleisters erfolgt, entlastet den Zahlungsdienstnutzer nicht.
4. Der Haftungsausschluss nach § 675v Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BGB greift nur, wenn der Zahlungsdienstleiser bei dem konkreten Zahlungsvorgang keine starke Kundenauthentifizierung verlangt hat. Die Haftungsverlagerung nach § 675v Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BGB setzt voraus, dass bei dem konkreten Zahlungsvorgang keine starke Kundenauthentifizierung verlangt wurde (im Anschluss an: Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 15. April 2024 - 1 U 47/23, Rn. 32, juris).
5. Hat der Zahlungsdienstleister bei vorangegangenen Anmeldungen im Online-Banking pflichtwidrig keine starke Kundenauthentifizierung verlangt, so kann dies sich ein anspruchsminderndes Mitverschulden nach § 254 BGB begründen.
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 22.04.2024; Aktenzeichen 4 O 187/23) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das am 4. Januar 2024 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Halle in der Fassung des Urteils vom 22. April 2024 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 v.H. des beizutreibenden Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
und beschlossen:
Der Wert des Berufungsverfahrens beträgt 35.555,00 EUR.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten zur Rückgängigmachung einer Belastungsbuchung in Höhe von 35.555,00 EUR.
Wegen des Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug einschließlich der dort gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil (Leseabschrift Bl. 169 bis 179 Bd. I der Akten) Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Klarzustellen und zu ergänzen ist:
Am Samstag, den 2. Juli 2022 versuchte die Klägerin zu 2. mehrfach, die PIN zum Online-Banking, die zum Einloggen auf der Internetseite der Beklagten erforderlich ist, zu ändern, weil sie diese, wie auch ihren Benutzernamen aus Versehen abgespeichert hatte. Trotz mehrfachen Versuchen gelang ihr die Änderung der PIN nicht. Dabei zeigte der TAN-Generator jeweils "Vorgang abgebrochen" an. Als sie am Abend gegen 22:30 Uhr nochmals versuchte, die PIN zu ändern, öffnete sich auf dem PC ein Fenster, welches die Klägerin zu 2. darauf hinwies, dass, sofern eine neue Sicherheitssoftware nicht installiert würde, der Onlinebanking-Zugang abliefe. Die Klägerin zu 2. klickte darauf, woraufhin sich ein neues Fenster öffnete und persönliche Angaben abgefordert wurden. Die Klägerin zu 2. will dieses Fenster sofort wieder geschlossen haben.
Wenige Augenblicke später klingelte das Telefon. Auf dem Display sah die Klägerin zu 2. die Telefonnummer der Beklagten. Die Anruferin stellte sich als Mitarbeiterin der Beklagten vor und erkundigte sich, was denn bei der Klägerin "los sei". Die Klägerin teilte mit, dass sie versucht habe, die PIN zu ändern. Daraufhin erklärte die Anruferin, dass die Installation eines neuen Sicherheitsprogramms erforderlich sei. In diesem Zusammenhang nannte die Anruferin auch den Namen der zuständigen Sachbearbeiterin der Beklagten, Frau P. . Da es bereits gegen 23 Uhr war, erkundigte sich die Klägerin zu 2. bei der Anruferin, warum diese noch so spät anrufen würde, woraufhin die Anruferin entgegnete, sie sei Mitarbeiterin im Online-Banking und sei "24 Stunden rund um die Uhr für die Kunden da". Die Klägerin erinnerte sich daran, dass sie bei einem USA-Urlaub zu nächtlicher Stunde (Ortszeit in Deutschland) in einer Kreditkartenangelegenheit die Beklagte telefonisch erreichen konnte, weshalb ihr die Angaben schlüssig erschienen.
Die Anruferin teilte mit, dass die Klägerin zu 2. sich identifizieren müsse. Dazu wurde die Klägerin zu 2. aufgefordert, die Zahlenfolge ihrer S. Bank -Kartennummer anzugeben, wobe...