Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz und Schmerzensgeld: Haftung für die Verursachung eines Verkehrsunfalls ohne Mitverschulden des Geschädigten
Leitsatz (redaktionell)
1. a) Dem Insassen eines von einem alkoholisierten Fahrer geführten Kraftfahrzeuges ist nur dann ein Vorwurf zu machen, wenn sich ihm bei zumutbarer Aufmerksamkeit aus den für ihn erkennbaren Gesamtumständen begründete Zweifel an der Fahrtüchtigkeit des Fahrers aufdrängen mussten, sodass ein in angemessener Weise auf seine Sicherheit bedachter Fahrgast verständigerweise von der Mitfahrt Abstand genommen hätte.
b) Allein die Kenntnis von einem vorangegangenen Alkoholgenuss des Fahrers ist demgegenüber nicht ausreichend.
c) Ein Erfahrungssatz, dass ein Mitfahrer die Trunkenheit des Fahrers ab einer bestimmten, höheren BAK stets erkennen kann, besteht nicht.
2. 20000 EUR Schmerzensgeld für einen Mann aus Verkehrsunfall bei Schädelprellung mit Kopf- und Gesichtsplatzwunden, Rippenserienfraktur der 3. bis 10. Rippe links mit Hämatopneumothorax, Lungenzusammenfall und Atemversagen, gering dislozierte Fraktur des linken Schulterblatthalses,
stumpfes Bauchtrauma, Nasenbeinfraktur, Lockerung der Schneidezähne, großflächige Wunden an Gesicht und Hals, multiple Prellungen mit einer MdE von 100 % für 136 Tage.
19 Tage stationäre Behandlung, davon ahct Tage in einem künstlichen Koma bei künstlicher Beatmung sowie drei weitere Tage auf der Intensivstation. Zur Beatmung wurde ein Luftröhrenschnitt durchgeführt.
Verfahrensgang
LG Stendal (Urteil vom 05.05.2006; Aktenzeichen 21 O 46/04) |
Tatbestand
I.
Der Kläger hat erstinstanzlich Schmerzensgeld, Schadensersatz sowie Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz künftiger Schäden aufgrund des Verkehrsunfalls vom 01.05.2003 verlangt.
Am 01.05.2003 ereignete sich in K. gegen 1:25 Uhr ein Verkehrsunfall.
Der Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW Renault mit dem amtlichen Kennzeichen, U. P., stand unter Alkoholeinwirkung. Nach einer Maifeier, zu deren Ende er noch beim Abbauen und Aufräumen geholfen hatte, fuhr er von Bn. aus gemeinsam mit dem Kläger und W. P. in den Nachbarort K.. Auf der Rückfahrt, während derer der Kläger angeschnallt im Fond des Wagens saß, fuhr U. P. in einer Rechtskurve geradeaus und frontal, ungebremst gegen einen Straßenbaum. Der Beifahrer W. P. verstarb noch an der Unfallstelle. Der Fahrer U. P., bei dem um 5:45 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von 1,44 g%o gemessen wurde, erlag seinen schweren Verletzungen wenige Wochen später.
Der Kläger erlitt aufgrund des Unfalls folgende Verletzungen:
Schädelprellung mit Kopf- und Gesichtsplatzwunden,
Rippenserienfraktur der 3. bis 10. Rippe links mit Hämatopneumothorax, Lungenzusammenfall und Atemversagen,
gering dislozierte Fraktur des linken Schulterblatthalses,
stumpfes Bauchtrauma,
Nasenbeinfraktur,
Lockerung der Schneidezähne,
großflächige Wunden an Gesicht und Hals,
multiple Prellungen.
Der Kläger wurde unfallbedingt vom 01.05.2003 bis zum 19.05.2003 in der unfallchirurgischen Klinik S. behandelt, acht Tage lag er in einem künstlichen Koma bei künstlicher Beatmung sowie drei weitere Tage auf der Intensivstation. Zur Beatmung wurde ein Luftröhrenschnitt durchgeführt.
Da anlässlich der unfallchirurgischen Behandlung ein Nierentumor festgestellt wurde, wurde der Kläger am 17./18.05.2003 beurlaubt, am 19.05.2003 entlassen und sodann in der urologischen Klinik der Universität M. weiterbehandelt.
Der Kläger war bis zum 16.09.2003 arbeitsunfähig.
Als alleinerziehender Vater einer damals zwölfjährigen Tochter bewohnte er gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Tochter ein Grundstück in Bn. .
Seine Mutter und seine Tochter besuchten ihn während des Krankenhausaufenthaltes täglich.
Mit Schriftsatz vom 19.12.2003 lehnte die Beklagte jegliche Regulierung gegenüber dem Kläger ab.
Der Kläger hat behauptet, er habe keinen Anlass zu Zweifeln an der Fahrtüchtigkeit des Herrn Ps. gehabt; dessen alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit sei für ihn nicht erkennbar gewesen.
Seit dem Unfall leide er an anhaltenden Schlafstörungen, Angstzuständen und Schweißausbrüchen, wegen derer er sich in psychologische Behandlung begeben habe. Er habe bis heute starke atemabhängige Schmerzen in der Rippengegend links sowie bewegungsabhängige Schmerzen im linken Schultergelenk. Die Beweglichkeit des linken Schultergelenks sei dauerhaft eingeschränkt. Er sei infolge der Brustkorbverletzung nur vermindert belastbar. Seine Nase stehe infolge der Nasenbeinfraktur schief. Die Verletzungen an Gesicht und Hals hätten Narben hinterlassen. Die Arbeitsunfähigkeit bis 16.09.2003 sei allein unfallbedingt.
Der Kläger hat neben einem Schmerzensgeldanspruch und dem Feststellungsantrag Ersatz materieller Schäden, nämlich der Kosten von Besuchsfahrten seiner Mutter und Tochter zum Krankenhaus von 495,72 Euro (je 17 Hin- und Rückfahrten Bn. -S. von 54 km zu je 0,27 Euro) und eines Haushaltsführungsschadens von 6 225,- Euro (139 Tage a 6 Stunden zu je 7,50 Euro) geltend gemacht.
Der Klä...