Leitsatz (amtlich)

1. Wer entgegen § 21a Abs. 1 Satz 1 StVO den Sicherheitsgurt nicht anlegt, den trifft grundsätzlich ein Mitverschulden gem. § 254 Abs. 1 BGB (BGH - VI ZR 213/79 - und VI ZR 59/97).

2. Bei schweren Frontalkollisionen mit hohen Geschwindigkeiten ist die Ursächlichkeit der erlittenen Unfallverletzungen jedoch nicht zu vermuten (vgl. auch OLG Karlsruhe - 13 U 205/77), wenn der Verletzte den Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte, sondern in den Airbag geprallt ist.

3. Vielmehr muss der Schädiger beweisen, dass dieselben Verletzungen (im konkreten Fall: hintere Hüftluxation mit Acetabulumfraktur) bei Anlegen des Sicherheitsgurts nicht eingetreten wären.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 09.05.2007; Aktenzeichen 11 O 1059/06)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das am 9.5.2007 verkündete Urteil des LG Magdeburg (11 O 1059/06) abgeändert.

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 8.374,85 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 8.000 EUR seit dem 16.8.2005 und aus 374,85 EUR seit dem 29.7.2004 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche künftig entstehende materielle und immaterielle Schäden aus dem Unfallereignis vom 19.11.2003 zu ersetzen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Am 19.11.2003 gegen 19.45 Uhr befuhr der Kläger, ohne den Sicherheitsgurt angelegt zu haben, mit seinem Pkw Toyota, amtliches Kennzeichen ..., die Landstraße 70 im Kreis Sch. zwischen A. und U. in Richtung A. In der Gegenrichtung fuhr der Beklagte zu 2) mit dem bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Pkw Opel, amtliches Kennzeichen ... Kurz nach Verlassen der Ortschaft A. wechselte der Beklagte zu 2) an einer für ihn nicht übersehbaren Stelle - es war dunkel und es regnete - zwecks Durchführung eines Überholvorgangs auf die Gegenfahrbahn, wo er frontal mit dem klägerischen Pkw kollidierte. Der Kläger erlitt eine Hüftgelenksluxation rechts mit Absprengung eines Fragments aus dem dortigen Pfannenrand. Er befand sich zwei Wochen in stationärer Behandlung - einschließlich operativer Reposition des luxierten Hüftgelenks - und ca. vier Monate in ambulanter Behandlung. Für die mehr als viermonatige Dauer seiner Erwerbsunfähigkeit war er bettlägerig. Seit dem 7.7.2005 ist bis auf Weiteres eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 % gegeben. Der als Maurer tätige Kläger leidet noch heute an Schmerzen und Wetterfühligkeit.

Die Beklagte zu 1) zahlte vorgerichtlich ein Schmerzensgeld von 7.000 EUR (4.500 EUR+2.500 EUR). Für beim Unfall beschädigte Sachen - im Wert von 700 EUR - und zu Besuchszwecken getätigte Aufwendungen - i.H.v. 549,50 EUR - leistete sie insgesamt 874,65 EUR.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger Schmerzensgeld i.H.v. weiteren 8.000 EUR (15.000 EUR -7.000 EUR), Schadensersatz i.H.v. weiteren 374,85 EUR (1.249,50 EUR -700 EUR) sowie die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für alle künftig entstehenden materiellen und immateriellen Schäden. Er hat vorgetragen, dass ihn kein Mitverschulden treffe, weil bei Anlegen des Sicherheitsgurts dieselben Verletzungsfolgen eingetreten wären. Hinsichtlich der Beschädigung der Sachen habe das Tragen des Sicherheitsgurts ohnehin keine Bedeutung. Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, dass sich der Kläger wegen des Nichtanlegens des Sicherheitsgurts ein Mitverschulden von 30 % anrechnen lassen müsse.

Hinsichtlich des Weiteren Vorbringens der Parteien in I. Instanz und der dort gestellten Anträge wird gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (Bl. 119-121).

Das LG hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Beweisergebnisses wird auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. L. S. (Bl. 96-106) Bezug genommen.

Mit am 9.5.2007 verkündeten Urteil hat das LG Magdeburg - unter Abweisung der Klage im Übrigen - die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 2.310 EUR nebst Zinsen verurteilt. Hinsichtlich der Gründe wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen (Bl. 121-124).

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt.

Der Kläger beantragt, das am 9.5.2007 verkündete Urteil des LG Magdeburg (11 O 1059/06) abzuändern und

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens weitere 8.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.8.2005 zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 374,85 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.7.2004 zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche künftig entstehenden materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 19.11.2003 zu ersetzen.

Die Beklagten ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?