Leitsatz (amtlich)
Steht fest, dass es zu einer nicht näher bestimmbaren Zeit vor dem Unfall zu einem Fahrspurwechsel von der rechten auf die linke Fahrspur gekommen ist, und ist im Übrigen der Sachverhalt nicht weiter aufklärbar, so dass einerseits die Möglichkeit besteht, dass der vorausfahrende Lkw unter Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO die Fahrspur gewechselt hat, andererseits aber auch die Möglichkeit, dass der Unfall auf eine verspätete Reaktion des auffahrenden Fahrers bzw. auf dessen Verstoß gegen das Abstandsgebot zurückzuführen ist, so scheidet ein Anscheinsbeweis zu Lasten des Auffahrenden aus.
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 07.11.2017; Aktenzeichen 6 O 455/15) |
Tenor
Unter Zurückweisung der Berufung des Klägers im Übrigen wird das am 7. November 2017 verkündete Urteil des Landgerichts Halle abgeändert und wie folgt erkannt:
Der mit dem Klagantrag 1 geltend gemachte Anspruch wird dem Grunde nach zu 50 % für gerechtfertigt erklärt.
Der mit dem Klagantrag 2 geltend gemachte Anspruch wird unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers von 50 % dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger gegenüber für sämtliche Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 26. August 2014 in S., OT B., Kreis M. auf der BAB ..., Richtung L., Kilometer ..., zu 50 % haftet, sofern die Schäden nicht auf den Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Der mit dem Klagantrag 4 geltend gemachte Anspruch wird dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Im Übrigen wird die Sache zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe der Klagansprüche - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
und beschlossen:
Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf 58.305,67 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls am 26. August 2014 auf der Bundesautobahn ....
Der Kläger befuhr am Unfalltag gegen 12:25 Uhr mit seinem Pkw Audi A6, amtliches Kennzeichen ..., die BAB ... in Richtung L. auf der linken von zwei Fahrspuren. In die gleiche Richtung steuerte der frühere Beklagte B. den Lkw DAF mit dem amtlichen Kennzeichen ..., der zum Unfallzeitpunkt bei der Beklagten haftpflichtversichert war.
Die A. Versicherungs AG, Haftpflichtversicherer des vom Kläger geführten Fahrzeuges, glich die Ansprüche des niederländischen Transportunternehmens bezüglich des vom Kläger verursachten Schadens am Lkw an den Vollkaskoversicherer des niederländischen Transportunternehmens vollständig aus.
Das neurologische Fachgutachten Dr. M. vom 19. Mai 2017 und das neuropsychologische Zusatzgutachten Sch. vom 6. Juni 2017 bescheinigen dem Kläger u.a. eine unfallbedingte mittelschwere Hirnleistungsstörung.
Der Kläger hat behauptet, in Höhe des Kilometers 101,8 sei plötzlich der Lkw DAF von der rechten auf die linke Spur gezogen, um einen vorausfahrenden Lkw zu überholen. Dies sei so plötzlich und ohne auf den rückwärtigen Verkehr zu achten geschehen, dass er nicht mehr habe ausweichen können und deshalb auf den Lkw vor ihm aufgefahren sei. Durch die hohe Geschwindigkeit bei dem Aufprall sei sein Fahrzeug auf die Leitplanke geschoben worden, habe sich mehrmals überschlagen und sei dann auf der Straße zum Liegen gekommen. Sein Fahrzeug sei im Besitz einer Abstandssensorik gewesen, bei der das Fahrzeug notfalls selbstständig eine Notbremsung mache, um eine Kollision zu vermeiden. Der Fahrer des Lkw habe jedoch sein Fahrzeug missachtet und die Spur derart kurzfristig gewechselt, sodass weder er noch die Abstandssensorik seines Fahrzeuges habe einschreiten und einen Unfall vermeiden können. Der Fahrstreifenwechsel des Lkw habe nicht bereits zwei Minuten vor dem Unfallereignis stattgefunden. Anhand des Schadensbildes am Lkw, bei dem ausschließlich der Schaden auf der linken Fahrzeugseite, insbesondere am linken hinteren Reifen und im Bereich des hinteren linken Blinkers vorliege, könne davon ausgegangen werden, dass sich der Lkw gerade nicht bereits mehrere Minuten auf der linken Spur befunden habe, sondern im Begriff gewesen sei, auf die Spur zu wechseln. Anderenfalls wäre eine Beschädigung mittig am Heck des Lkws erfolgt. Er - der Kläger - habe die Geschwindigkeit des Tempomats auf 160 km/h eingestellt gehabt.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 20.469,30 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 26. August 2014 zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26. August 2014,
3. festzustellen, dass die Beklagte dem Kläger gegenüber für sämtliche Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 26. August 2014 in S., OT B., Kreis M. auf der BAB ..., Richtung L. Kilometer ... zu 75 % hafte, sofern die Schäden nicht auf den S...