Leitsatz (amtlich)

Wird bei konkreten Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung lediglich über die gestellten Sorgeanträge entschieden, liegt ein unzulässiger Teilbeschluss vor.

 

Normenkette

BGB §§ 1666, 1671 Abs. 4; FamFG § 69 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

AG Nürnberg (Aktenzeichen 109 F 2424/22)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Nürnberg vom 14./20.10.2022 aufgehoben.

II. Die Sache wird zur erneuten Erörterung und Entscheidung, und zwar auch über die außergerichtlichen Kosten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

III. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

IV. Der Beschwerdewert wird auf 2.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer wendet sich gegen einen Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg, mit welchem sein Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für seinen Sohn und auf Herausgabe des Kindes zurückgewiesen worden ist.

Das zweijährige Kind F... lebt bei seiner Mutter, der getrennt lebenden Ehefrau des Antragstellers, welche am 16.05.2022 mit ihren insgesamt drei Kindern nach Nürnberg verzogen ist, wo sie zunächst im Frauenhaus gelebt hat. Für F... sind die Eheleute gemeinsam sorgeberechtigt. Der Vater war über den Umzug nicht informiert und ist hiermit nicht einverstanden. Der Vater hatte nach deren Umzug keinen Kontakt mehr zur Mutter aufnehmen können und erstattete bei der Polizei Anzeige wegen Kindesentführung. Das Amtsgericht Hameln wies mit Beschluss vom 20.06.2022 (Az. 41 F 50/22 EAHK) seinen Antrag auf Herausgabe des Kindes mit Verweis auf die gemeinsame elterliche Sorge zurück.

Nunmehr hat der Vater die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich allein beantragt. Mit Beschluss vom 01.07.2022 (Az. 41 F 58/22 EASO) hat sich das Amtsgericht Hameln für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Nürnberg verwiesen. Das Amtsgericht Nürnberg hat für das Kind einen Verfahrensbeistand bestellt (Beschluss vom 08.07.2022, Bl. 11/13 d.A.) und nach Anhörung der Eltern, des Verfahrensbeistands und des Jugendamts mit Beschluss vom 14.10.2022, welcher am 20.10.2022 erlassen worden ist (Bl. 48/52 d.A.), den Antrag des Vaters zurückgewiesen, ebenso wie den [nicht aktenkundigen] Antrag der Mutter auf Übertragung der elterlichen Sorge. Die Entscheidung beruhe auf § 1671 Abs. 1 BGB. Im Parallelverfahren 109 F 2425/22 werde ein Sachverständigengutachten erholt, um die Erziehungsfähigkeit beider Eltern zu überprüfen. Das Gericht könne im Rahmen einer summarischen Prüfung nicht zu der Überzeugung kommen, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht bei einem Elternteil allein dem Kindeswohl am besten entspreche, und habe von Amts wegen ein Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung eingeleitet, in welchem weiter überprüft werde, ob sorgerechtliche Maßnahmen zu treffen seien. Hierzu sei F... selbst anzuhören.

II. Die gemäß § 57 S. 2 Nr. 1, §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung der Entscheidung des Amtsgerichts und zur Zurückverweisung der Sache.

Es liegt eine unzulässige Teilentscheidung vor.

1. Nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB ist einem Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Es ist daher in zwei Stufen (sog. "doppelte Kindeswohlprüfung") zu prüfen, ob (1) die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und (2) die Übertragung gerade auf diesen Elternteil dem Kindeswohl am besten entspricht (vgl. Götz, in: Grüneberg 82. Aufl. § 1671 BGB Rn. 12).

a) Zwar kann auch die gerichtliche Feststellung ergehen, dass das gemeinsame Sorgerecht fortbesteht (vgl. Hennemann, in: MüKoBGB 8. Aufl. § 1671 BGB Rn. 18). Insbesondere muss ein Familiengericht erkunden, ob Chancen bestehen, dass die Eltern in angemessen kurzer Zeit zur Kooperation zurückfinden (können und wollen). In diesem Zusammenhang hat das Familiengericht die Eltern auch auf die Beratungs- und Unterstützungsangebote hinzuweisen (§ 156 Abs. 1 S. 2 FamFG). Es soll auch selbst auf ein Einvernehmen der Eltern "hinwirken", § 156 Abs. 1 S. 1 FamFG (vgl. Lack, in: Johannsen/Henrich/Althammer/Lack Familienrecht 7. Aufl. § 1671 BGB Rn. 37).

b) Vorliegend hat das Gericht jedoch die gegensätzlichen Anträge nicht deshalb zurückgewiesen, weil es der Ansicht ist, dass ein zur gemeinsamen Ausübung des Sorgerechts hinreichendes Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen den Beteiligten jedenfalls hinsichtlich der Frage der Aufenthaltsbestimmung für das Kind vorliegt, sondern weil es konkrete Anhaltspunkte für eine Regelung der elterlichen Sorge aufgrund anderer Vorschriften sieht, § 1671 Abs. 4 BGB. Denn es hat mitgeteilt, im Parallelverfahren 109 F 2425/22 ein Sachverständigengutachten zur Erziehungsfähigkeit beider Eltern zu erholen und zudem von Amts wegen ein weiteres einstweiliges Anordnungsverfahren nach § 1666 BGB unter dem Aktenzeich...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge