Leitsatz (amtlich)
Eine entspr. Anwendung der Sperre für die Kindergeldanrechnung (§ 1612b Abs. 5 BGB) auf volljährige „privilegierte” Kinder i.S.v. § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB findet nicht statt.
Normenkette
BGB § 1603 Abs. 2 S. 2, § 1612b Abs. 5
Verfahrensgang
AG Tirschenreuth (Aktenzeichen 1 F 140/02) |
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird zurückgewiesen.
Gründe
1. Das AG – FamG – Tirschenreuth hat mit Anerkenntnis- und Endurteil vom 11.6.2002 den Beklagten verpflichtet, an den Kläger Kindesunterhalt i.H.v. monatlich 153,75 Euro zu bezahlen. Der Kläger ist volljährig, unverheiratet und wohnt als Schüler ohne Einkommen bei seiner Mutter. Bei seiner Unterhaltsberechnung hat das AG die Hälfte des Kindergeldes, das die Mutter erhält, abgezogen.
Der Kläger beabsichtigt gegen das Urteil Berufung einzulegen und beantragt dafür Prozesskostenhilfe. Er ist der Auffassung, dass die Hälfte des Kindergeldes nicht vom errechneten Unterhaltsbetrag abgezogen werden dürfe. Die Anrechnungsvorschrift des § 1612b Abs. 5 BGB gelte auch für volljährige unterhaltsberechtigte Kinder, wie sie in § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB beschrieben sind. Der Kläger erfülle die Voraussetzungen dieser Vorschrift.
2. Der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers ist zurückzuweisen, weil die in Aussicht genommene Berufung keine Aussichten auf Erfolg hat (§ 114 ZPO). Das AG – FamG – Tirschenreuth hat zu Recht die Hälfte des Kindergeldes bei der Unterhaltsberechnung berücksichtigt.
Die Anrechnungsvorschrift des § 1612b Abs. 5 BGB, nach der die Anrechnung von Kindergeld unterbleibt, soweit der Unterhaltspflichtige außerstande ist, Unterhalt i.H.v. 135 % des Regelbetrags nach der RegelbetragVO zu leisten, gilt nur für minderjährige Kinder. Gleichwohl wird teilweise in Rechtsprechung und Literatur die entspr. Anwendung des § 1612b Abs. 5 BGB auf sog. volljährige privilegierte Kinder befürwortet (§ 1603 Abs. 2 S. 2 BGB). Im Wesentlichen wird das damit begründet, dass das volljährige Kind im Falle der Kindergeldanrechnung weniger Unterhalt erhält, als es vor seinem 18. Geburtstag bekommen hat. Das sei nicht sachgerecht und nicht vereinbar mit dem Ziel des Gesetzgebers, dem Kind das volle Kindergeld zukommen zu lassen, solange sein Existenzminimum nicht gewährleistet sei. Durch die Volljährigkeit des Kindes habe sich an dem eigentlichen Lebenssachverhalt nichts geändert. Eine Verringerung des Unterhalts durch die Anrechnung der Hälfte des Kindergeldes behandele gleiche Sachverhalte ohne Grund rechtlich ungleich (vgl. OLG Hamm v. 9.8.2001 – 8 WF 106/01, FamRZ 2001, 1727; OLG Bremen MDR 2002, 950; OLG Koblenz v. 19.9.2001 – 9 UF 62/01, OLGReport Koblenz 2002, 29 = FamRZ 2002, 965; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 8. Aufl., Rz. 545; Graba, NJW 2001, 249 [254, 255]; Wohlgemuth, FamRZ 2001, 742).
Dem steht der Gesetzeswortlaut entgegen, der den Wegfall der Kindergeldanrechnung nur für die Kinder vorsieht, deren Unterhalt sich nach der RegelbetragVO richtet. Das sind nur die minderjährigen Kinder, nicht die volljährigen, auch nicht die privilegierten Volljährigen (§ 1612a BGB). Die Vorschrift wurde auch erst zum 1.1.2001 neu in das Gesetz eingefügt (Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Familie und zur Änderung der Kindesunterhaltsrechts v. 2.11.2000, BGBl. I, 1479), zusammen mit Änderungen der §§ 1603 und 1609 BGB. Die zuletzt genannten Vorschriften haben den volljährigen unverheirateten Schüler, der zu Hause wohnt, bis zum 21. Lebensjahr in einigen Punkten den minderjährigen Kindern gleichgestellt und dadurch den tatsächlichen Gegebenheiten Rechnung getragen. Das wurde aber nicht durchgängig zum Prinzip erhoben. Mit der Volljährigkeit fällt z.B. auch bei dem privilegiertem volljährigen Kind der Betreuungsunterhalt weg. Der betreuende Elternteil wird ebenfalls barunterhaltspflichtig (BGH v. 9.1.2002 – XII ZR 34/00, BGHReport 2002, 498 = FamRZ 2002, 815), obwohl sich an den tatsächlichen Lebensumständen des Kindes und der Eltern durch die Volljährigkeit nichts geändert hat. Der Volljährige, auch der privilegierte, braucht nicht mehr den umfassenden Schutz eines minderjährigen Kindes, weil er zur Sicherung seines Existenzminimums notfalls auch selbst – wenn auch nur im beschränkten Umfang – einen Beitrag leisten kann. Damit kann auch der eigentliche Zweck des Kindergeldes, nämlich die staatliche Entlastung der unterhaltspflichtigen Eltern, wirksam werden, der zum Schutz der minderjährigen Kinder durch den § 1612b Abs. 5 BGB in den Hintergrund getreten ist (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 13.9.2001 – 21 WF 136/01; Scholz, FamRZ 2000, 1541 [1546]; abschwächend FamRZ 2001, 1048; Vossenkämper, FamRZ 2000, 1547 [1551]; Pieper, Fuß 2001, 8 [11]; Gutdeutsch § 2, VI im Nachtrag zur 5. Aufl. von „Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis”). Es besteht deshalb keine gesetzliche Regelungslücke, die durch entspr. Anwendung des § 1612b Abs. 5 BGB geschlossen werden muss.
Dr. Forster Herrl...