Leitsatz (amtlich)

1. Solange das Verfahren nicht rechtskräftig gemäß § 206a StPO eingestellt ist, hat der verstorbene Angeklagte weiterhin formell eine Verfahrensstellung als Angeklagter inne und die von ihm für das Verfahren erteilte Verteidigervollmacht gilt bis zur Rechtskraft der Entscheidung fort.

2. Unter Berücksichtigung der fortwirkenden, formellen Verfahrensstellung wird der verstorbene Angeklagte durch eine Entscheidung gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO über die Nichterstattung seiner notwendigen Auslagen beschwert.

3. Trotz erheblichen Tatverdachts sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO nicht erfüllt, wenn das Gericht aufgrund seiner Sachaufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO für die Schuldfrage bedeutsame Widersprüche durch Erholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zu klären hat.

4. Bei der wegen des Ausnahmecharakters der Regelung in § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO im Rahmen der Ermessensentscheidung vorzunehmenden Prüfung, ob besondere Umstände vorliegen, die die Belastung der Staatskasse mit den Auslagen des Angeklagten als unbillig erscheinen lassen, darf die Prognose über den voraussichtlichen Erfolg der Berufung nicht berücksichtigt werden.

 

Normenkette

StPO §§ 206a, 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2

 

Tenor

1. Auf die für den verstorbenen Angeklagten durch den Verteidiger eingelegte sofortige Beschwerde wird der Beschluss des Landgerichts W. vom 7.1.2010 in Ziffer 2 dahin abgeändert, dass die Staatskasse auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.

2. Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

 

Gründe

I. Der Angeklagte wurde mit Urteil des Amtsgerichts W. vom 5.3.2009 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 11 sachlich zusammentreffenden Fällen, in einem Fall (Tatzeit 10.3.2008) in Tateinheit mit 14 rechtlich zusammentreffenden Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung, zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil legten sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft form- und fristgerecht Berufung ein.

Nach Vernehmung der bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen sowie Erstattung der Gutachten durch die - ebenfalls bereits in erster Instanz tätig gewordenen -Sachverständigen R., Prof. Dr.-Ing. B. und Prof. Dr. Ing E. im Berufungshauptverhandlungstermin vom 7.7.2009, setzte das Landgericht W. im Termin vom 22.7.2009 die Hauptverhandlung aus und ordnete die Erholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Frage der Vorherseh- und Vermeidbarkeit des Unfalls vom 10.3.2008 durch den Sachverständigen Dr.-Ing. G. an.

Nachdem der Angeklagte am 26.11.2009 - noch vor Erstellung des weiteren Gutachtens - verstorben war, hat das Landgericht W. mit Beschluss vom 7.1.2010 das Verfahren eingestellt, die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auferlegt und entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft W. gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen; die Strafkammer hat ferner entschieden, dass gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG keine Verpflichtung der Staatskasse besteht, den Angeklagten für Strafverfolgungsmaßnahmen zu entschädigen. Die Entscheidung zu den notwendigen Auslagen wurde im Wesentlichen damit begründet, dass aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme ein erheblicher Tatverdacht gegen den Angeklagten fortbestehe und auch keine Umstände erkennbar seien, die bei einer neuen Hauptverhandlung den erheblichen Tatverdacht in Frage stellen würden. Da die Berufung des Angeklagten voraussichtlich keinen Erfolg gehabt hätte, erscheine es unbillig, der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen.

Gegen den am 18.1.2010 zugestellten Beschluss hat der Verteidiger des Angeklagten mit Schriftsatz vom 25.1.2010, der am selben Tag beim Landgericht W. einging, Beschwerde eingelegt, die mit weiterem Schriftsatz vom 1.2.2010 begründet wurde.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zu verwerfen; es bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeklagte durch das Landgericht W. verurteilt worden wäre.

II. 1. Nach dem Inhalt der Beschwerdebegründung ist davon auszugehen, dass sich die Beschwerde ausschließlich dagegen wendet, dass mit der angefochtenen Entscheidung davon abgesehen wurde, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen. Insoweit ist sie als sofortige Beschwerde gemäß § 464 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft und durch den Verteidiger auch form- und fristgerecht erhoben.

a) Mit dem Tod des Angeklagten ist nach nunmehr herrschender Meinung die Beauftragung des Wahlverteidigers und die ihm hierbei erteilte Vollmacht gemäß §§ 673 Abs. 1 Satz 1, 168 Satz 1 BGB nicht erloschen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., Rdn. 7 m.w.N.). Der Gegenmeinung,...

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