Leitsatz (amtlich)
Von der Erholung eines Sachverständigengutachtens zur Schadenshöhe wird vor allem dann regelmäßig gemäß § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO abzusehen sein, wenn die Kosten der Begutachtung dasjenige deutlich übersteigen, was nach einer richterlichen Schätzung absehbar an Unsicherheit verbleibt. Eine rein richterliche Schätzung verbietet sich nur dort, wo es keine konkreten Anhaltspunkte gibt, auf die eine Schätzung gestützt werden kann.
Normenkette
BGB § 252; ZPO § 287
Verfahrensgang
LG Ansbach (Aktenzeichen 2 O 197/19) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 8. November 2019 folgendermaßen abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin insgesamt 9.854,28 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 7. Dezember 2018 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 15 % und die Beklagte 85 %. Von den Kosten des Verfahrens in erster Instanz tragen die Klägerin 35 % und die Beklagte 65 %.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.453 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Darstellung des Tatbestands ist entbehrlich (§ 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO).
II. Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf entgangenen Gewinn in Höhe von insgesamt 9.854,28 EUR aus § 7 Abs. 1, § 17 StVG; § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG mit § 252 BGB. Hinsichtlich des vom Landgericht darüber hinaus zugesprochenen Betrags (798,72 EUR) war das angegriffene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
1. Das Landgericht hat in der Hauptsache entgangenen Gewinn in Höhe von 10.653 EUR zugesprochen. Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten, soweit ein höherer Betrag als 5.200 EUR zugesprochen wurde. Letzteren Betrag akzeptiert die Beklagte, ausgehend von fiktiv angesetzten Mietkosten in Höhe von 200 EUR pro Ausfalltag, für 26 Ausfalltage.
Hinsichtlich des über 5.200 EUR hinausgehenden Betrags macht die Beklagte im Kern geltend:
a) Das Landgericht habe verschiedene Positionen für die Ermittlung des entgangenen Gewinns geschätzt und dabei teilweise die Schätzgrundlagen nicht konkret bezeichnet. Die Schätzung sei insgesamt nicht schlüssig, etwa deshalb, weil einzelne Positionen auf Kalendertage und andere auf Einsatztage umgerechnet worden seien. Die Beklagte habe erwartet, dass die Gewinnermittlung durch ein Sachverständigengutachten erfolgen werde.
b) Das Ersturteil enthalte keine relevanten Ausführungen zu einer möglichen Verletzung der Schadensminderungspflicht durch die Klägerin, etwa dazu, warum die Anmietung eines Mietwagens nicht möglich gewesen sei, oder dazu, warum nicht zumindest teilweise Aufträge auf die beiden anderen Lkw der Klägerin hätten verlagert werden können oder der verunfallte Lkw dazwischen nicht auch tageweise hätte eingesetzt werden können.
2. Die vom Landgericht vorgenommene Schätzung der Schadenspositionen ist nachvollziehbar begründet. Sie entspricht den Anforderungen des § 287 ZPO. Die Bewertung wird vom Senat auch im Ergebnis geteilt, abgesehen von einer bei den ersparten Mautkosten gebotenen Korrektur.
a) Die Feststellung des entgangenen Gewinns ist der Paradefall der Schadensermittlung im Wege der Schätzung. Sie ist hier nicht nur zulässig, sondern unumgänglich. Die Feststellung erfordert naturgemäß immer eine Prognose, deren Richtigkeit nicht mit letzter Sicherheit feststellbar ist. Daher wird schon im materiellen Schadensrecht klargestellt, dass das zu ersetzen ist, was mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (§ 252 Satz 2 BGB). Damit korrespondiert, dass keine zu strengen Anforderungen an den diesbezüglichen Sachvortrag des Anspruchstellers gestellt werden dürfen (BGH, Urteil vom 22. Oktober 1987 - III ZR 197/86, juris Rn. 14; Urteil vom 9. November 2010 - VI ZR 300/08, juris Rn. 17; Urteil vom 8. Mai 2018 - VI ZR 295/17, juris Rn. 34). Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass Ausgangs- und Anknüpfungstatsachen für eine Schadensschätzung vorgetragen werden (BGH, Urteil vom 23. Februar 2010 - VI ZR 331/08, juris Rn. 31; Urteil vom 9. November 2010 - VI ZR 300/08, juris Rn. 17).
Der Sinn der flankierenden prozessualen Regelung in § 287 ZPO liegt unter anderem darin eine Beweisaufnahme zu vermeiden, die deutlich höhere Kosten verursacht als der mit ihr gegenüber der Unschärfe einer richterlichen Schätzung näher aufklärbare Betrag. Dieser in § 287 Abs. 2 ZPO ausdrücklich ausformulierte Gedanke gilt auch für § 287 Abs. 1 ZPO, er ist den dort geregelten Fällen immanent. Es soll vermieden werden, dass bei allein zur Höhe eines auf Geldzahlung gerichteten Anspruchs Prozesse mit einem wirtschaftlichen Aufwand geführt werden, der dazu führt, dass unter Berücksichtigung der Prozesskosten per Saldo beide Parteien (wirtschaftlich) verlieren. Deshalb hat der Gesetzgeber die Durchführung...