Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 23.03.2009; Aktenzeichen 17 O 40/08) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Endurteil des LG Nürnberg-Fürth vom 23.3.2009 aufgehoben.
II. Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen das Versäumnisurteil vom 19.2.2008 gewährt.
III. Der Rechtsstreit wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das LG Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.
IV. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
V. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
VI. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.1. Mit Klageschrift vom 28.12.2007 machte die Klägerin Ansprüche auf Rückzahlung von Vergütung und auf Schadensersatz aus einem Vertrag über die Entwicklung von Software vom 11.5.2004 geltend. Die vom Beklagten zu entwerfende Software. sei wegen Kompatibilitätsproblemen nicht funktionsfähig gewesen; nach einer Fristsetzung zur Nachbesserung, auf die der Beklagte nicht reagiert habe, sei sie vom Vertrag zurückgetreten. Als Folge der Nichterfüllung seien ihr u.a. Mehrkosten für die Entwicklung der Software von 206.757,58 EUR entstanden.
Die Klage wurde dem Beklagten unter der angegebenen Anschrift K Strasse 15a, am 1.2.2008 durch Niederlegung zugestellt.
Nach teilweiser Klagerücknahme erging am 19.2.2008 Versäumnisurteil gem. § 331 Abs. 3 ZPO, in dem der Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 206.757,38 EUR zu bezahlen (Bl. 19/20 d.A.). Es wurde dem Beklagten am 26.2.2008 durch Niederlegung unter der Anschrift in Wesseling zugestellt.
Eine Zustellung des Kostenfestsetzungsantrags scheiterte am 26.3.2008, weil "Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln" (nach Bl. 25 d.A.). Auch eine Zustellung unter einer von der Klägerin mitgeteilten Anschrift in C/Österreich war nicht möglich; das Zustellungsersuchen wurde unerledigt zurückgereicht, weil drei Zustellversuche jeweils mit dem Vermerk "dzt. ortsabwesend" oder "Sommerhaus" erfolglos geblieben waren (Bl 51 d.A.)
2. Mit Schriftsatz vom 5.3.2009, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, legte der Beklagte Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 19.2.2008 ein; hilfsweise beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist (Bl. 62/87 d.A.).
Er trägt vor, dass er seit 1.8.2007 unter der Anschrift H-Strasse 7 in K wohnhaft sei (Beweis: Mietvertrag vom 15.2.2007, Anl. RHA 2; Eidesstattliche Versicherung, Anl. RHA 1). Der Mietvertrag über die Wohnung K-Straße habe zwar noch bestanden; er habe sich dort aber seit 1.8.2007 nicht mehr aufgehalten. Die Zustellungen unter dieser Adresse seien folglich unwirksam gewesen.
Zumindest treffe ihn kein Verschulden an der Nichteinhaltung der Einspruchsfrist. Von der Zustellung von Klage und Versäumnisurteil habe er erst durch Akteneinsicht seiner Rechtsanwälte am 21.2.2009 erfahren. Er habe Nachsendeaufträge für den Zeitraum 1.8.2007 bis 1.8.2008 erteilt (Anl. RHA 3, RHA 4); diese hätten sich an eine Adresse in Belgien gerichtet, wo er sich in diesem Zeitraum häufig aufgehalten habe. Offenbar seien die Zustellungen nicht über die Deutsche Post erfolgt, und das zustellende Unternehmen habe von dem Nachsendeauftrag keine Kenntnis erhalten, obwohl er einer Datenweitergabe an andere Postdienstleister nicht widersprochen habe. Er habe nicht damit rechnen müssen, dass ihm zwei Jahre nach Beendigung seiner Tätigkeit für die Klägerin ohne Vorankündigung eine Klage zugestellt würde, zumal er auch die Schreiben der Klägerin nicht erhalten habe.
Die Klägerin hält den Einspruch für unzulässig. Der Beklagte habe während des gesamten Vertragsverhältnisses die Anschrift K in W benutzt; eine Adressenänderung habe er nie mitgeteilt. Noch Ende März 2007 habe er einem Mitarbeiter der Klägerin erklärt, er sei dort erreichbar (Beweis: Zeuge). Auch in einem Schreiben des Finanzamtes vom 8.8.2007 sei diese Adresse angegeben. Noch im April/Mai 2008 sei er dort gemeldet gewesen (Melderegisterauskünfte vom 11.4. und 6.6.2008). Dass der Beklagte sich seit 1.8.2007 nicht mehr unter der Adresse aufgehalten habe, sei zu bestreiten.
Der Wiedereinsetzungsantrag sei verspätet. Aus dem eigenen Vorbringen des Beklagten ergebe sich, dass dieser bereits am 18.2.2009 Kenntnis davon gehabt habe, dass gegen ihn ein Versäumnisurteil bestand.
3. Mit Urteil vom 23.3.2009 verwarf das LG den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und den Einspruch des Beklagten als unzulässig (Bl. 102/112 d.A.).
Das Versäumnisurteil sei wirksam zugestellt worden. Die vom Beklagten vorgelegten Nachsendeaufträge deuteten auf eine nur vorübergehende Abwesenheit hin. Der Beklagte habe sich auch im April/Mai 2008 noch nicht umgemeldet gehabt. Es sei offen, weshalb der Beklagte den Mietvertrag über die Wohnung in der K Strasse. mehr als ein Jahr nach Abschluss des Mietvertrages über die Wohnung in K aufrechterhalten habe; er trage auch nicht vor, die Wohnung geräumt zu haben. ...