Leitsatz (amtlich)
1. Im Rahmen der Interessenabwägung zur Bestimmung des Überprüfungsaufwands eines Hostproviders einschließlich der Einholung einer Stellungnahme des für den beanstandeten Beitrag Verantwortlichen darf - da das "Überprüfungs- und Stellungnahmeverfahren" kein Selbstzweck ist - die Schutzbedürftigkeit des Betroffenen nicht außer Acht gelassen werden: In die Abwägung ist daher einzustellen, inwieweit der Betroffene für die Durchsetzung seines Anspruchs mangels eigener Erkenntnismöglichkeiten auf die Tatsachen angewiesen ist, die der Diensteanbieter im Rahmen eines "Anhörungsverfahrens" vom Nutzer erfahren könnte.
2. Auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer sekundären Darlegungslast des Hostproviders ist zu berücksichtigen, ob die Tatsachen aus dem angegriffenen Beitrag aus der Sphäre des Betroffenen stammen oder dem Betroffenen eine weitere Sachverhaltsaufklärung - beispielsweise durch eine eigene Kontaktierung des Nutzers - möglich und zumutbar ist.
Normenkette
BGB analog § 823 Abs. 1; BGB § 1004 Abs. 1 S. 2; DSA Art. 6 Abs. 1; DSGVO Art. 17; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Aktenzeichen 11 O 7452/21) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14.11.2023, Az. 11 O 7452/21, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Der Kläger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der T. Hochschule und teilhabender Gesellschafter der W. GmbH, deren Gegenstand laut Handelsregister die Unternehmensberatung (ohne Rechts- und Steuerberatung), die Personalvermittlung und der Im- und Export sowie der Handel mit Waren verschiedener Art, insbesondere Agrarprodukten in jeder Form und Lebensmitteln, ist.
Am 01.10.2020 lud der Journalist Herr J. das streitgegenständliche Video auf dem YouTube-Kanal A. der von der Beklagten betriebenen Videoplattform hoch. Bereits zuvor war das Video der Geschäftsführerin der W. GmbH zugespielt worden. Auf von den Gesellschaftern der W. GmbH an ihn gesandte E-Mails reagierte Herr J. nicht.
Am 13.11.2020 beanstandete der Kläger bei der Beklagten das streitgegenständliche Video über das von der Beklagten zur Verfügung gestellte Online-Formular. Die Beklagte bat den Kläger noch am selben Tag um Mitteilung der konkreten Äußerungen und des entsprechenden Zeitpunktes dieser Äußerungen. Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 07.05.2021 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Löschung des Beitrags. Die Beklagte bat den Kläger daraufhin, die entsprechenden Angaben zu den vermeintlichen persönlichkeitsrechtsverletzenden Äußerungen mitzuteilen und die Identität des Klägers hinreichend nachzuweisen. Hierauf übersandte der Kläger als Nachweis der Identität eine Vollmacht. Die Beklagte erläuterte daraufhin, es sei eine eindeutige Identifizierung erforderlich und ohne genaue Angabe des Erscheinens des Bildes, Namens oder sonstiger personenbezogener Daten könnten keine weiteren Maßnahmen eingeleitet werden.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 08.11.2021 mahnte der Kläger die Beklagte ab. In der Folge sperrte die Beklagte das Video für die hiesige Landes-Domain und setzte den Kläger mit E-Mail vom 16.11.2021 über die erfolgte Sperrung in Kenntnis. Eine Abgabe der geforderten Unterlassungserklärung sowie eine Weiterleitung der Beanstandung des Klägers an den Verfasser des Videos erfolgten durch die Beklagte nicht.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth erließ am 14.11.2023 das nachfolgende Urteil:
Die Beklagte wird [...] verurteilt, es zu unterlassen, den unter dem Youtube-Kanal am 01.10.2020 von Herrn J. auf der Internetplattform Youtube eingestellten Beitrag https://www.youtube.com... auf der Internetplattform YouTube im Internet bereitzustellen.
Zur Begründung führte das Landgericht insbesondere aus, dass es international zuständig sei, da der Kläger einen deutlichen Inlandsbezug des beanstandeten Videos schlüssig vorgetragen habe. Dem Kläger stehe gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch gemäß § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 BGB, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zu. Die Beklagte hafte als mittelbare Störerin. Sie habe ihre Prüfpflichten verletzt, indem sie die konkreten und ausreichenden Beanstandungen des Klägers im anwaltlichen Abmahnschreiben vom 08.11.2021 nicht an den für das Video Verantwortlichen weitergeleitet habe. Bei den streitgegenständlichen Aussagen handele es sich im Wesentlichen um Tatsachenbehauptungen. Da die Beklagte ihrer Obliegenheit, vom Verfasser des Videos entsprechende Informationen zu fordern, nicht nachgekommen sei, sei die Behauptung des Klägers, die von ihm beanstandeten Behauptungen seien wahrheitswidrig, nach den allgemeinen Regeln über die sekundäre Darlegungslast nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden zu bewerten.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte in ihrer Berufung, mit de...