Leitsatz (amtlich)

1. Zu den im Rahmen der Untersuchungs- und Rügeobliegenheit nach § 377 HGB anzulegenden Maßstäben.

2. Die Untersuchungs- und Rügeobliegenheit nach § 377 HGB trifft auch den Zwischenhändler. Insoweit sind jedoch weniger strenge Anforderungen zu stellen als an einen Verarbeiten Insbesondere kann die Branchenüblichkeit von Untersuchungen bei Zwischenhändlern anders zu beurteilen sein als die Branchenüblichkeit derselben Untersuchungen desselben Produkts im verarbeitenden Gewerbe.

3. Der Hersteller eines Produkts, der dieses aus zugekauften (bereits mangelhaften) Komponenten zusammenbaut und das Produkt sodann an einen Zwischenhändler weiterveräußert, kann sich im Falle einer unterlassenen Untersuchung der eingebauten Komponenten diesem Zwischenhändler gegenüber schadenersatzpflichtig machen. Dem steht nicht entgegen-, dass dem Zwischenhändler des Produkts seinerseits im Verhältnis zu dem ihn beliefernden Hersteller eine Untersuchung des Produkts auf denselben Mangel gem. § 377 HGB nicht obliegt.

 

Normenkette

HGB § 377

 

Verfahrensgang

LG Weiden i.d.OPf. (Urteil vom 16.02.2009; Aktenzeichen 1 HK O 56/08)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des LG Weiden i.d. OPf. vom 16.2.2009 (Az. 1 HK O 56/08) abgeändert.

Es wird festgestellt, dass der Klägerin ggü. der Beklagten hinsichtlich der von der Beklagten vom 16.8.2006 bis 12.7.2007 an sie erfolgten Lieferung mangelhafter Kabelsätze mit der Materialnummer CflHBHB Gewährleistungsansprüche zustehen und die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jegliche Schäden und Kosten zu ersetzen, die der Klägerin hieraus entstehen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss:

Der Streitwert wird für den Berufungsrechtszug auf 96.476,16 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt Feststellung, dass die Beklagte ihr gegenüber aus der Lieferung mangelhafter Kabelsätze zur Gewährleistung verpflichtet ist.

Die Klägerin, eine Zwischenhändlerin elektronischer Bauteile, hat von der Beklagten im Zeitraum vom 16.8.2006 bis 12.7.2007 Kabelsätze erworben. Die Beklagte hatte ihrerseits von ihrer Lieferantin, Fa. E. GmbH aus B.B komplette Kabel (Flachkabel, bei denen mehrere metallische Kabeladern parallel zueinander geführt werden) auf Kabelrollen angekauft, diese sodann konfektioniert, d.h. auf eine bestimmte Länge zugeschnitten und die Kabelenden mit Verbindungssteckern versehen, und auf diese Weise die (auch) an die Klägerin verkauften Kabelsätze hergestellt. Derartige Kabelsätze werden in verschiedenartige Geräte mit elektronischen Bauteilen, etwa in Computern, eingebaut.

Die Klägerin hat die von der Beklagten erworbenen Kabelsätze ihrerseits an eine Abnehmerin, Fa. ... GmbH & Co. KG aus ... weiterveräußert, welche sie in Isolationsüberwachungsgeräte eingebaut hat.

Die streitgegenständlichen Kabel wiesen ab dem Jahr 2006 nicht die Eigenschaft der aufgedruckten technischen Bezeichnung der Querschnittsspezifikation "AWG 28" auf; vielmehr war der Durchmesser der metallischen Kabeladern um 0,08 mm zu dünn.

Die Beklagte hat vor dem LG Bielefeld unter Aktenzeichen 17 O 142/07 gegen ihren Lieferanten, Fa. ... GmbH, Gewährleistungsansprüche aus der Lieferung mangelhafter Rohkabel, die sie weiterverarbeitet hat, geltend gemacht. In diesem Verfahren hat die dortige Klägerin (hiesige Beklagte) der hiesigen Klägerin unter dem 16.10.2007 den Streit verkündet (Anlage B2). Mt rechtskräftig gewordenem Endurteil vom 13.11.2007 (Anlage B1) wurde die Klage abgewiesen, da die Beklagte (dortige Klägerin) als Käuferin der Kabel diese nicht rechtzeitig untersucht und den Mangel nicht rechtzeitig gerügt habe, die Ware deshalb nach § 377 Abs. 2 HGB als genehmigt gelte. Dieses Urteil des LG Bielefeld enthält auf S. 7, letzter Absatz, folgende Feststellungen:

"Eine Prüfung des Adernquerschnitts der Kabel war ohne Zuziehung Sachverständiger mit verhältnismäßig geringem Aufwand möglich; insoweit war geboten, Stichproben des Kabels aufzuschneiden. Eine Prüfung des Adernquerschnitts war entweder mit einer Lupe oder mit einer elektronischen Messung mit Extrembelastung möglich; beide Untersuchungsmöglichkeiten waren der damaligen Klägerin (hiesigen Beklagten) als Verarbeiterin der Kabel - Herstellerin von Kabelsätzen - zumutbar."

Die Beklagte hat ggü. der Klägerin mit Schreiben vom 23.10.2007 einen bis "31.11.2008" befristeten Verzicht auf die Einrede der Verjährung erklärt (Anlage K8). Die Klage wurde am 28.11.2008 bei Gericht eingereicht und der Beklagten am 9.12.2008 zugestellt.

Die Parteien haben in erster Instanz im Wesentlichen darüber gestritten, ob es sich bei dem streitgegenständlichen Mangel um einen offenen oder einen verdeckten Mangel handelt sowie ob die Klägerin als bloße Z...

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