Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung bei Einbau eines sog. Thermofensters
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Kraftfahrzeug, in dem eine nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 Fahrzeugemissionen-VO unzulässige Abschalteinrichtung iSv Art. 3 Nr. 10 Fahrzeugemissionen-VO installiert ist, ist mangelhaft im Sinne des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts, weil die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die Zulassungsbehörde besteht und damit dem Fahrzeug die Eignung für die gewöhnliche Verwendung fehlt; dies gilt auch dann, wenn das Kraftfahrt-Bundesamt Maßnahmen gegenüber dem Hersteller noch nicht gefordert hat (ebenso BGH BeckRS 2019, 2206). (Rn. 17)
2. Eine Schadensersatzverpflichtung der Beklagten als Herstellerin des Fahrzeuges, das Vorhandensein einer unerlaubten Abschalteinrichtung in dem vorbeschriebenen Sinn unterstellt, scheidet unter dem Gesichtspunkt eines Betruges (§ 263 StGB iVm § 823 Abs. 2 BGB) im Streitfall aus, weil der Kläger das Fahrzeug als Gebrauchtwagen bei einem selbstständigen Händler erworben hat und deshalb das Erfordernis der Stoffgleichheit nicht erfüllt ist (ebenso BGH BeckRS 2020, 19146). (Rn. 18)
3. Selbst wenn unterstellt wird, dass die temperaturabhängige Gestaltung der Abgasrückführung eine nicht zulässige Abschalteinrichtung darstellt, folgt daraus noch nicht, dass die Beklagte mit der Verwendung dieser Einrichtung in dem streitgegenständlichen Fahrzeug objektiv sittenwidrig gehandelt hat. (Rn. 24)
4. Ein Vorsatz der Beklagten hinsichtlich der etwaigen Unzulässigkeit der Steuerung der Abgasrückführung kann nicht angenommen werden, wenn zumindest die Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung im Genehmigungsverfahren offengelegt worden und daraufhin die Typgenehmigung erteilt worden ist (ebenso OLG Koblenz, Az. 12 U 1263/20). (Rn. 28)
5. Hat die zuständige Behörde in einem - wie hier - bestandskräftigen Verwaltungsakt dem Hersteller bescheinigt, dass das betreffende Fahrzeugmodell den einschlägigen Anforderungen entspricht, so sind die Zivilgerichte aufgrund der Tatbestandswirkung dieses Verwaltungsaktes gehindert, etwas anderes anzunehmen (ebenso BGH BeckRS 2015, 16319). (Rn. 32)
Normenkette
BGB §§ 31, 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV §§ 6, 27; Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 lit. a; StGB § 263; Typgenehmigungsverfahrens-RL Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 01.08.2019; Aktenzeichen 10 O 358/19) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 01.08.2019, Az. 10 O 358/19, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Dieses Urteil sowie das vorbezeichnete Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird bis zum 18.04.2021 auf 66.400,00 EUR, danach auf 55.165 EUR festgesetzt.
Gründe
I. 1. Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 23.06.2017 bei einem selbstständigen Kraftfahrzeughändler in einen Pkw Mercedes-Benz V-Klasse 250 CDI, FIN, als Gebrauchtfahrzeug zum Preis von 66.400 EUR mit einem Kilometerstand von 32.630 km. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Euro 6) ausgestattet. Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeugs auf Schadensersatz in Anspruch. Erstinstanzlich hat er die Erstattung des gesamten Kaufpreises abzüglich einer näher zu beziffernden Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges gefordert. Daneben hat er die Feststellung des Annahmeverzuges der Beklagten hinsichtlich der Rücknahme des Fahrzeugs sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten geltend gemacht.
Zur Begründung hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, sein Fahrzeug sei mit einer illegalen Abschalteinrichtung im Sinne der Artikel 5 Abs. 2, 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehen, weil die Motorsteuerungssoftware die Abgasreinigung bezogen auf bestimmte Temperaturen nur im Testbetrieb optimal einstelle und eine gegenüber dem normalen Fahrbetrieb andere Funktionsweise vorliege (sog. "Thermofenster"). Hierdurch würden auf dem Prüfstand geringere Stickoxidwerte erzielt. Die Wirksamkeit der Abgasrückführung werde durch das "Thermofenster" in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur verringert, wobei die Abgasreinigung bei den Temperaturen optimiert sei, bei denen die Abgaswerte geprüft würden. Auf diese Weise habe die Beklagte die Typgenehmigung durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erschlichen, die entsprechende Funktionsweise der Motorsteuerungssoftware sei im Typgenehmigungsverfahren nicht offengelegt worden. Das Fahrzeug sei von einer Rückrufaktio...